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Chanukka-LeuchterChanukka-Leuchter Frankfurt a.M. 1680 - Jdisches Museum Frankfurt

© Jüdisches Mus. Frankfurt

AG Deutsch-Jüdische Geschichte

im

Verband der Geschichtslehrerinnen und -lehrer


Deutsc
hlands (VGD)

Mittelalter 2:
Zur Sozialgeschichte seit dem 6. Jahrhundert
Christen, Juden und der Geldverleih

1. Probleme von Geschäftspartnern in Italien und im Frankenreich im  6. Jh. / sowie das Problem der Zwangstaufe
Texte und Kommentare

2. Die Raffelstädter Zollordnung und das Zollprivileg von Worms - frühe Nachweise über die Handelstätigkeit der Juden
Text(auszüge) und Kommentar (direkt dorthin)
3. Kreditaufnahme in karolingischer Zeit
Text und Kommentar
(direkt dorthin)
4. Jüdische und andere Geldverleiher
Texte und Kommentare (direkt dorthin). >> Analyse zum Thema mit Bibliographie und LInks auf Themen/Analysen Geldverheiher und Bankiers
5. Zitate von Historikern zum Thema (direkt dorthin)

Zum Thema siehe auch die Analysen:
Geldverleiher (Tagung Halberstadt, Der Myrhos vom jüdischen Geldverleih) und Historikertag 2006, sowie Geldwesen und “Wucher” im Mittelalter auf historia universalis, Quellen, Analysen und eine ausführlichere Bibliographie. - Zuletzt
Wolfgang Geiger: ”Geldjuden”€. Die  Grundlagen eines universellen Vorurteils vom Mittelalter bis heute, in:  Widerspruchstoleranz 3 - Ein Methodenhandbuch zu antisemitischer  Bildungsarbeit, KIgA, 2019, S. 16-24, >>online.

1. Probleme von Geschäftspartnern in Italien und im Frankenreich im  6. Jh. / sowie das Problem der Zwangstaufe

Regesten (Zusammenfassung von lateinischen Quellen) durch Julius Aronius

1. Aus einem Brief Papst Gregors I. zur Einhaltung des Rechts gegenüber Juden, 598:

Der päpstliche Defensor* Candidus pfändet dem Juden Jamnus** mit anderen Gläubigern desselben sein Schiff und seine Waren und verkauft sie für den Betrag des geschuldeten Geldes, weigert sich dann aber allein von allen Gläubigern, nachdem alle Schuldscheine eingelöst worden, den seinigen herauszugeben. Papst Gregor ordnet auf eine Anzeige des Jamnus genaue Untersuchung durch den Defensor Fantinus und eventuell Befriedigung des Jamnus an.

* lat.: „Verteidiger“; Vertreter des Papstes.  **andere Lesart des Namens: Tamnus

Die Szene spielte sich wahrscheinlich auf Sizilien ab, da Fantinus dort päpstlicher Vertreter war. Candidus vertrat den Papst gegenüber den Franken. Aronius schließt daraus, dass Jamnus mit seinem Schiff unterwegs nach Gallien war.
Es gibt noch weitere
Hinweise über eine Handelstätigkeit von Juden im Mittelmeerraum zwischen Italien und  Gallien:

2. Aus dem Jahr 581:

Männer jüdischer Abkunft werden als Eigentümer eines Schiffes erwähnt, welches von Nizza nach Marseille fährt.

3. Aus dem Jahr 591:

Papst Gregor, der von italienischen Juden, die in Geschäften nach Marseille reisen, erfahren hat, dass viele der dortigen Juden mehr durch Gewalt als durch Predigt zur Taufe veranlasst werden, weist die Bischöfe Vigilius von Arles und Theodor von Marseille darauf hin, dass eine durch liebevolle Bekehrung bewirkte Bekehrung besser und zuverlässiger sei.

4. Von einen geschäftlichen Konflikt mit tragischem Ausgang für einen jüdischen Geldverleiher berichtet eine andere Quelle bei Aronius aus dem Jahr 584:

Der Jude Armentarius kommt mit einem jüdischen Diener und zwei Christen nach Tours um Schuldverschreibungen vorzulegen, die ihm der gewesene Vicarius Injuriosus und der gewesene Graf Eunomius [ex vicario, ex comite] über die öffentlichen Abgaben ausgestellt hatten. Auf die Aufforderung der beiden begiebt er sich in das Haus des Injuriosus um das Geld nebst den Zinsen [pecunie fenore cum usuris] und Geschenke in Empfang zu nehmen. Nach dem Mahle begeben sie sich bei Einbruch der Nacht nach einem anderen Orte und dort werden die Juden mit den beiden Christen, angeblich von den Leuten des Injuriosus, ermmordet und in einen benachbarten Brunnen geworfen. […]

Julius Aronius, Regesten zur Geschichte der Juden im Fränkischen und Deutschen Reiche bis zum Jahre 1273. Berlin (Simion), 1902, Nachdr. Hildesheim (Olms), 1970, N°54, S.20; N°44, S.16; N°52, S.19; N°47, S.17f.; lat. Wortlaut z.T. bei Aronius, z.T. durch das Original (s.u.) ergänzt.

Kommentar:

Diese erste Quelle aus dem Jahr 598 dokumentiert eine Szene aus der Handelstätigkeit eines jüdischen Kaufmanns, der offenbar auch Schiffseigner war und über das Mittelmeer Waren verschiffte. Nach der Interpretation von Aronius aus dem Kontext der Quelle, die hier nur auszugsweise inhaltlich wiedergegeben ist, verkehrte er offenbar zwischen Sizilien und Gallien (dem Frankenreich). Für eine Tour bekam er von einem hohen Kleriker sowie anderen Geldgebern einen Kredit, über den es zu einem nicht näher benannten Streit kam. Mit der Pfändung des Schiffes aber der Zurückhaltung des Schuldscheins will der Kleriker den Kaufmann offensichtlich schädigen. Interessant ist daran natürlich die “verkehrte Welt”: der jüdische Kaufmann als Schuldner, der Kirchenmann als hinterlistiger Gläubiger. Die Quelle ist auch ein Indiz dafür, dass kirchliche Institutionen oder hier Personen im frühen Mittelalter als Geldverleiher gewirkt haben, was zuallererst Gegenstand des wiederholt ausgesprochen Zinsverbotes war: die Kirche setzte sich dabei zunächst selbst Regeln.

Die Quelle aus dem Jahr 591, die zunächst nur als eines von wenigen Indizien über die Tätigkeit von jüdischen Kaufleuten herangezogen wurde, berichtet uns außerdem noch von einer anderen wichtigen Begebenheit: den immer wieder auftretenden Zwangstaufen. Dabei ging die Kirchenautorität, namentlich der Papst, fast immer gegen die eigenmächtige Aktion örtlicher Bischöfe vor, wie in diesem Fall. Das hier zum Ausdruck kommende Motiv für die Verurteilung von Zwangstaufen weist auf ein Problem der Kirche (und natürlich auch der getauften Juden) hin, das noch 1000 Jahre später enorme Bedeutung gewann, nämlich in Spanien nach den mehr oder weniger erzwungenen Taufen der spanischen Juden nach der Reconquista. Auch dort entstand ein Argwohn der Kirche hinsichtlich der Aufrichtigkeit der Konversion, weswegen die Inquisition die Marranen, wie die Konvertiten hießen, verfolgte und viele zur Emigration zwang.

Dazu: Christof Geisel, Die Juden in Frankreich. Von den Merowingern bis zum Tode Ludwigs des Frommen, Frankfurt a.M. (Lang) 1998, S. 297-304.

Die Quelle aus dem Jahr 584 zeigt uns die eher “klassische” Rollenverteilung beim Geldverleih (sogar mit Erwähnung der Zinsen bzw. de Wuchers: usuria, allerdings ohne negative Konnotation im Kontext) und offenbar auch einen daraus resultierenden Mord, wie er sich später noch öfters ereignen sollte, nämlich um die Schulden nicht bezahlen zu müssen. Aus weiteren Informationen der Quelle geht hervor, dass es aus nicht ganz klaren Gründen zu keiner strafrechtlichen Verfolgung kam, Injuriosus wurde nicht belangt, obwohl unter den Opfern ja auch offenbar Christen waren.

Obwohl hier also scheinbar ein “klassischer” Fall eines jüdischen Geldverleihers vorliegt, widerspricht die Quelle dennoch dem gängigen Klischee, denn ganz offensichtlich waren die christlichen Begleiter des jüdischen Geldverleihers dessen Mitarbeiter oder Partner, jedenfalls die notwendigen Zeugen, die er benötigte und die wohl deswegen auch umgebracht wurden. Das unterstreicht die auch aus anderen Zusammenhängen bekannte Tatsache, dass zumindest in jener frühen Zeit, ungeachtet der Konflikte, die aus der religiösen Konfrontation entstehen konnten (siehe oben: Zwangstaufe), im zivilen und wirtschaftlichen Leben Christen und Juden grundsätzlich keine Kontaktscheu hatten und oft zusammenarbeiteten. Die Anleihe auf zukünftige Einnahmen aus einem öffentlichen Amt, die hier wohl vorgelegen hat, stellt ein sehr frühes Zeugnis eines im Hochmittelalter häufiger auftretenden Phänomens dar und zeigt, wie weit vergleichsweise die Geldwirtschaft im Frankenreich zu dieser Zeit schon - oder noch, von der Antike her betrachtet - war.

Einiges an dieser Quelle aus der Geschichte der Franken von Gregor von Tours, t. VII, XXIII (lat. Ausg. auf Gallica, siehe: hier)  erscheint zweifelhaft: der Name des Ex-Vikars Injuriosus, was soviel heißt wie “unrechtmäßig Handelnder”;  möglicherweise handelte es sich dabei um einen Beinamen, vielleicht aufgrund bereits vorangegangener Verfehlungen, die ihm das Amt kosteten? Doch wie wird man “ehemaliger Graf”? Die Übersetzung mit dem Adelstitel ist hier wahrscheinlich unangebracht, vielmehr muss man sich darunter eine Art Beamten vorstellen, wie er sich unter dem Titel comes (Gen. comitis) in der Spätantike entwickelt hat (auch als militärischer Dienstgrad) und dann aufgrund der Fixierung und Erblichkeit der Ämter mit persönlicher Haftung  zu einem lehnsrechtlichen Adelstitel wurde (frz. comte, engl. count). Zu dieser Zeit könnte der Aspekt des öffentlichen Amtes noch im Vordergrund gestanden haben, was eine Entlassung aus dem Amt erklären würde.

Vgl. Geisel, op. cit., S-310-315.

W. Geiger, März 2010


2. Kreditaufnahme in karolingischer Zeit

Die fränkische Gräfin Dhuoda (lat. Dodana) in einer Art Testament an ihren Sohn, ca. 841-844:

Zusammenfassung in der Regestensammlung von Julius  Aronius

Dodana, die Witwe des Grafen Bernhard von Toulouse, erzählt in ihrem an ihren Sohn Wilhelm gerichteten liber manualis, dass sie für viele Bedürfnisse nicht nur von Christen, sondern auch von Juden oft große Geldsummen geliehen habe. Sie habe sie nach Möglichkeit zurückgegeben und werde damit auch fortfahren. Wenn sie aber hei ihrem Tode noch Schulden hinterlassen sollte, so möge Wilhelm wohl darauf bedacht sein, dieselben zu bezahlen.  

Julius Aronius, Regesten zur Geschichte der Juden im Fränkischen und Deutschen Reiche bis zum Jahre 1273. Berlin (Simion), 1902, Nachdr. Hildesheim (Olms), 1970, N°104, S.45.

Vgl. auch in der neuen Ausgabe des gesamten Textes:
Dhuoda, Liber manualis. Ein Wegweiser aus karolingischer Zeit für ein christliches Leben, übersetzt und kommentiert von Ludwig Fels, Stuttgart (Hiersemann) 2008, S.162.

Kommentar:

Diese ebenfalls sehr alte Quelle wirft ein interessantes Licht auf die Realität des Geldverleihs. Die Formulierung “nicht nur..., sondern auch” verdeutlicht eine Hierarchisierung in der Geldleihpraxis, die die Juden erst an die zweite Stelle setzt, ganz im Gegensatz zum Klischee, wonach dieser den Christen verboten und dadurch quasi ein Monopol der Juden gewesen sein soll.


3. Die Raffelstetter Zollordnung und das Zollprivileg von Worms
Frühe Nachweise über die Handelstätigkeit der Juden

3.1. Die Raffelstetter (oder Raffelstettener) Zollordnung von 906.

Die 906 oder kurz zuvor verfasste Zollordnung für den Grenzübergang zwischen dem damaligen Bayern und den slawischen Ländern, namentlich  Böhmen, bei Raffelstetten in der Nähe von Linz (heute Österreich) im Auftrag des ost- fränkischen Königs Ludwig  (gen. Ludwig das Kind, geb. 893., reg. 900-911) bestätigte aufgrund vorausgegangener Beschwerden Zoll und Maut der früheren fränkischen Herrscher. Der letzte Abschnitt daraus ist folgender:

(9) Die Kaufleute, also die Juden und anderen Kaufleute (ganz gleich woher sie kommen, aus diesem Land oder aus anderen Ländern) sollen den gerechten Zoll zahlen für Sklaven wie für andere Handelsgüter - so wie es stets in den früheren Zeiten der Könige war.

Das gesamte Dokument  gibt es im forum oö geschichte, der Website des Virtuellen Museums Oberösterreich, Quelle in deutscher Übersetzung:- hier, lateinische Quelle: hier, Einstiegsseite dazu mit Kommentar und einer Karte: hier.

Kommentar:

Die Bezeichnung “Juden und andere Kaufleute” (mercatores, id est Iudei et ceteri mercatores) hat vielfach dazu geführt die jüdischen als die hauptsächlichen Händler zu identifizieren. Jedoch erwähnt der ganze Text vorher andere Beteiligte, Bayern und Slawen, was gegen eine Verengung der Persepektive auf die Juden spricht. Dass sie eine wichtige Rolle im Fernhandel spielten, soll nicht bestritten werden, vielmehr jedoch die ihnen zugewiesene quasi Monopolstellung, wie es leider auch im Kommentar auf der Seite des Virituellen Museums Oberösterreich erfolgt, wo es z.B. heißt: Der Sklavenhandel, von dem in der Raffel- stettener Zollordnung wiederholt die Rede ist, war im Frankenreich den Juden überlassen und wurde von diesen dominiert.” ( hier) Der damit verbundene Hinweis auf den von Juden betriebenen weltumspannenden Handel bis nach China bezieht sich auf eine nicht genannte arabisch-persische Quelle, nämlich von Ibn Khordadbeh, über die Radaniten genannten Händler, die als Standardreferenz für die Handelstätigkeit der Juden im frühen Mittelalter herhält, aber mit mehr wissenschaftlicher Vorsicht betrachtet werden sollte. Zum Problem der Radaniten siehe in: “Privilegien” oder “green card” des Medium Aevum: Der Weg jüdischer Händler an den Rhein im frühen Mittelalter auf Historia Inter- culturalis: hier. Auch in der Raffelstetter Zollordnung werden die Handelsobjekte, darunter auch Sklaven, nicht exklusiv in Verbindung mit den Juden gebracht, sondern mit allen Händlern zuvor genannter Herkunft.

3.2. Das Zollprivileg von Worms, 1076

Da die Stadt Worms sich während des Investiturstreits hinter Heinrich IV. stellte, gewährte er ihr in Anerkennung dieser Treue das folgende Privileg als “utilitas”, deutsch mit “Förderung” übersetzt - hier der entscheidende Abschnitt daraus:

[...] Diese Förderung lässt sich zwar in wenigen Worten zusammenfassen, doch in deren Einschätzung selbst wird sie nicht als geringfügig, sondern als willkommen und ehrenvoll angesehen. Denn die Abgaben, die man in deutscher Sprache als „Zoll“ be­zeichnet, welche die Juden und die anderen Wormser in allen Zollstätten des Königs – also Frankfurt, Boppard, Hammerstein, Dortmund, Goslar, Enger – bei der Durchreise zu zahlen verpflichtet waren, haben Wir den Wormsern erlassen, so dass sie künftig keinen “Zoll“ mehr zahlen. [...]

Die vollständige Quelle in Übersetzung wurde in Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv mit Anmerkungen auf der Website des Gauß-Gymnasiums von Worms im Verbund regionalgeschichte.net von Rheinland-Pfalz gestellt: Quelle hier, der Kommentar mit einem Faksimilé und die historische Einordnung der Quelle befindet sich auf der Überblicksseite Juden in Worms im 11. Jahr- hundert - hier. Der lateinische Text findet sich in der Monumenta Germaniae Historica Online: hier.

Kommentar:

Diese Quelle hebt, ebenso wie das Judenprivileg von Speyer acht Jahre später, die Handelstätigkeit der Juden, v.a. im Fernhandel hevor, Grund für ihre gezielte Ansiedlung in Worms wie in Speyer. In Worms ersetzten sie die bis dort an derselben Stelle in der Stadt ansässigen friesischen Kaufleute, woraus man eine Umorientierung der Handelspolitik der salischen Städte nach Süden zum Mittelmeer erkennen kann. - Zu Worms und Speyer siehe auch hier auf Mittelalter 3 sowie zur Geschichte Speyers im Geschichts- lehrerforum: hier.

W. Geiger, 15.11.2010


4. Jüdische und christliche Geldverleiher

Analyse zum Thema mit Bibliographie und LInks auf Themen/Analysen Historikertag 2006

4.1. Beispiele aus den Regesten von Aronius (1156-1261)
4.2. Das Kölner Judenprivileg von 1266
4.3. Der Züricher Richtebrief von 1304 über Zinssätze

Dass es nicht nur jüdische, sondern auch christliche Geldverleiher gab, zeigen eine ganze Reihe von Quellen. In der Regesten- sammlung von Aronius werden häufig beide Gruppen parallel genannt, obwohl sich Aronius nur darauf spezialisiert hat, die die Juden betreffenen Quellen zu sammeln. So z.B. folgende Quelle:

4.1. Beispiele aus den Regesten von Julius Aronius (für die Epoche 1156-1261)

17.9.1156

Bei der Errichtung des Herzogtums Österreich wird dem Herzog das Recht gegeben, in allen seinen Ländern Juden und Geldleiher, sogenannte Gawertschen, zu halten, jedoch ohne Nachteil für das Reich.

Aronius, op. cit., N°176, S.276.

Kommentar:

“Juden und Geldleiher” verdeutlicht, dass Juden als Geldleiher eine große Rolle spielten, aber kein Monopol auf dieses Geschäft hatten. Die genannten “Gawertschen” (lat. Cauvercini) waren Kaufleute und Geldverleiher aus der südfranzösischen Stadt Cahors, die zu jener Zeit neben den Lombarden aus Norditalien in Europa verbreitet waren. Vgl. dazu die Einträge im Lexikon des Mittelalters LEXMA (bibliographische Angabe hier).

1.3.1227

Beschlüsse der Trierischen Provinzialsynode betreffend die Juden.

1. Die Priester sollen ohne besondere Erlaubnis des Erzbischofs den Juden keine kirchlichen Geräte verpfänden.
2. Unwissende Priester sollen nicht in Gegenwart von Laien mit Juden disputieren und die Priester sollen allen ihren Untertanen befehlen keinen Trank und keine Medizin von ihnen anzunehmen.
3. Es wird verboten Geld Gewinnes halber bei Cauvercinen oder Juden anzulegen.
4. Den Landesherren wird auferlegt ihre Juden durch Strafen zu zwingen, dass sie nicht die Heilkunde ausüben oder den Christen Tränke reichen.

Aronius, op. cit., N°439, S.194.

Kommentar:

Hier zeigt sich eine klare antijüdische Intention, die sich im 13. Jh. bemerkbar machte und den engen Kontakt zwischen Juden und Christen - hier verdeutlicht an der besonders sensiblen Beziehung zwischen Arzt und Patient - unterbinden wollte. Im Hintergrund erkennt man Vergiftungsängste der Christen. Der Arztberuf wurde trotzdem weiterhin von Juden ausgeübt, auch bei christlichen Patienten.

Punkt 3 macht noch einmal deutlich, dass jüdische Geldverleiher nicht die einzigen waren, stellt die Reihenfolge eine hierarchische Wertung dar, dann kämen hier sogar die Cawerschen -Cauvercini - vor den Juden in der Rangfolge.

1241.

Die Abtei Quedlinburg schuldet dem Juden Jakob von Blankenburg 213 Mark Silber mit fortlaufendenden Zinsen. Da sich die zwingende Notwendigkeit herausstellt, diese Schuld zu bezahlen, sowohl um die beständige Zinslast zu beseitigen, als auch um die Bürgen für das Geld zu entlasten, so verpfändet die Äbtissin Gertrudis gewisse Zehnten an den Grafen Heinrich von Regenstein.

1.3.1242

Die Äbtissin Gertrud von Quedlinburg bezahlt die Schulden ihres schwer verschuldeten Klosters, darunter 80 Mark an den Juden von Blankenburg,.

Aronius, op. cit., N°532 & 533, S.230.

Kommentar:

Diese Quelle, eine von vielen ihrer Art, macht deutlich, dass trotz aller Verurteilung des wucherischen Kreditwesens auch die Kirche immer wieder auf Geldanleihen angewiesen war, hier seitens eines Klosters bei einem jüdischen Geldverleiher. Der Hinweis auf die “fortlaufenden Zinsen” könnte auf das Prinzip des Zinseszinses verweisen (... sub usuris continuis invenimus obligatam), das, als besondere Form des Wuchers angeprangert, zwangsläufig anfiel, wenn die Schulden nicht zum bestimmten Termin beglichen wurden. Die ausstehenden Zinsen wurden dann zum ausgeliehenen Kapital geschlagen und davon der neue Zins berechnet. Die Verpfändung von Einnahmen aus dem Kirchenzehnten an den Grafen erfolgt deswegen, weil der Graf seinerseits einen Kredit an das Kloster gibt, damit es die Schuldenbei Jakob von Blankenburg tilgen kann, was im Text nicht explizit ausgeführt wird.

Die im März 1242 erfolge Schuldentilgung bezieht sich nur auf 80 Mark statt der zuvor genannten 213 Mark. Es könnte sein, dass die 80 Mark der ursprünglich geliehenen Summe entsprechen und in den 213 Mark bereits Zinsen einberechnet waren; dafür spricht auch der unübliche ungerade Betrag von 213. Was aus der Differenz, d.h. den Zinsen, wurde, bleibt hier unklar.

Die Währungsangabe bezieht sich aller Wahrscheinlichkeit nach auf die damals als Standard gültige Gewichtseinheit der Kölni- schen Mark von ca. 234 g Silber. Die fraglichen Summen stellten tatsächlich enorme Werte dar, vgl. die Mögilchkeiten der Kauf- kraftberechnung über den Mittelalter-Rechner (siehe “Währungen” und “Mercatus”).

1253.

Abt Friedirch und der ganze Konvent von Kloster Michelsberg bei Bamberg verkaufen dem Abt Heinrich von Michelfeld zwei Höfe für zwanzig Mark Bamberger Geldes und Gewichtes, da sie einen Kirchenornat, den sie aus Not für Getreide bei den Juden gegen Zinsen haben verpfänden müssen, nicht aus eigenen Mitteln einlösen können.

1257.

Das Kloster Michelsberg bei Bamberg ist durch häufige Beraubungen in solche Not geraten, dass es, um den Unterhalt der Mönche bestreiten zu können, den Juden ein Buch in vegoldetem Einband und anderen Kirchenornat hat verpfänden müssen, und zwar so lange, dass, da die Zinsen immer zum Kapital geschlagen wurden, die Juden schließlich vor Gericht die Erlaubnis erhielten, die Pfänder zu verkaufen. Der Abt und die Brüder regeln deshalb mit dem Kämmerer Udo die Einnahmen und Ausgaben des Klosters und bestimmen, dass Udo zuerst von dem Juden Joseph den Ornat für 62 Mark und die Zinsen im Betage von 15,5 Mark einlösen soll; auch die verkauften Bücher soll er wieder herbeischaffen.

Aronius, op. cit., N°594 & 629, S.255, 264.

Kommentar:

Auch diese Quellen zeigen, dass angesichts der Realitäten ein Grundsatz der Kirche, keine kirchlichen Insignien zu verpfänden, nicht eingehalten wurde. Außerdem gibt es hier einen weiteren Hinweis auf die Praxis des Zinseszins und die sozialen Umstände, die dahin führten. Die angegebenen Zinsen von 15,5, / 62 Mark erscheinen noch vergleichsweise bescheiden angesichts dessen, dass die nicht näher genannte Frist des Kredits sich wohl über längere Zeit hingezogen hat.

26.2.1261

Herzog Heinrich III. von Brabant bestimmt in seinem Testament, dass Juden und Cauwercinen aus seinem Lande gänzlich ver- trieben werden sollen, so dass keiner darin zurückbleibt, ausgenommen solche, die wie andere Kaufleute Handel treiben und ohne Darlehensgeschäfte und Wucher leben wollen.

Aronius, op. cit., N°669, S.279.

Kommentar:

Die testmentarische Bestimmung lässt vermuten, dass der Herzog es Zeit seines Leben nicht vermochte, diesen Wunsch zu verwirklichen. Auf diesbezügliche falsche Interpretationen weist Aronius hin. Wichtig ist hier, dass “Juden und Cauwercinen” zu- sammen genannt werden, was einmal mehr verdeutlicht, dass es nicht nur jüdischer sondern auch christliche Geldverleiher gegeben hat. Der Wunsch nach einem Handel ohne Darlehen und Zinsen erscheint hier anachronistisch angesichts dessen, dass der niederländische Raum damals gerade seinen wirtschaftlichen Aufschwung erlebte, der ohne die Komponente des Kreditwesens so nicht denkbar gewesen wäre.

 

W. Geiger, April 2010

4.2. Schuldenliste der Gräfin Johanna von Flandern, 1221

Kreditgeber:

Geliehen:

Zurückzuzahlen:

von Cortebragne und Co.

11.040.-

13.040.-

von Hubert de Châteauneuf

3.048.-

4.000.-

von Jeam dem Juden

3.000.-

3.536,50

von Grégoire Alexis und Co.

5.106.-

6.000.-

von Barthélemy

7.000.-

8.050.-

Insges.

29.194.-

34.626,50

Kommentar:

Aus der Liste geht hervor, dass der jüdische Kreditgeber nur einer von fünfen war, die anderen ganz offensichtlich Christen.

Da ihr Gemahl Ferrand von Portugal in der Schlacht von Bouvines 1214 auf Seiten der Engländer und des Kaisers Ottos IV. gegen die Franzosen unter Kg. Philipp II. August in französische Gefangenschaft geriet, versuchte sie ihn durch eine Lösegeldzahlung freizubekommen. Dafür wurden offenbar die Schulden aufgenommen. Ihr Gemahl kam jedoch erst 1227 unter Ludwig VIII. frei.

Die Laufzeit der Kredite ist nicht bekannt, somit kann auch kein Zinssatz bestimmt werden.  Sie waren aber ursprünglich wohl als mittelfristige Darlehen von 1-2 Jahren gedacht, genaueres ist jedoch nicht bekannt.

Aus: Félix Bourquelot: Etudes sur les foires de Champagne, Bd. 2, Paris 1886, Reprint Brionne (ca. 1970), S. 20. op. cit., Bd. 2, S.126.

4.3. Das Kölner Judenprivileg von 1266

Dem Privileg des Erzbischofs von Köln ging ein nicht näher bekannter antijüdischer Vorfall voraus, vielleicht sogar eine Vertreibung der Juden aus der Stadt, der diesen Schutzbrief mit seiner spektakulären Veröffentlichung in Stein notwendig erscheinen ließ.

Auszug aus der Inschrift:

Wir machen bekannt, dass, nachdem wir erfahren haben, dass Juden in der Diözese Köln Einbußen, was ihre Stellung angeht, und mannigfaches Un- recht erlitten haben, wir ihre alten Freiheiten er- neuern. [...] Ihre Freiheiten sind folgende: Dass für ihre Toten egal welchen Todes sie gestorben sind oder von woher sie hierher gebracht worden sind, kein Zoll verlangt oder erpresst werden darf. Dass ihnen erlaubt ist, ihre Toten, was sie auch immer in ihrem Leben begangen haben mögen, frei auf ihrem Friedhof außerhalb der Mauern Kölns begraben dürfen; ausgenommen diejenigen, die im Juden- bann gestorben oder durch ein gerechtes Urteil zu Tode gekommen sind. Dass kein Beamter des Erzbischofs oder Richter auf dem Friedhof [...] Blut- urteile an Christen oder Juden vollstrecken lassen darf. Dass Juden, wer sie auch sind und woher sie in das Gebiet des Erzbischofs von Köln kommen, (sie) denselben Zoll zahlen sollen wie die Christen, zu weiteren Leistungen sollen sie nicht herangezogen werden. Es sei nicht erlaubt, dass Cauvercini [wahrscheinlich Kaufleute aus Italien] oder Christen, die offen auf Wucher leihen, in der Stadt wohnen dürfen. Weil die Juden die vorgenannten Freiheiten genießen sollen, haben wir diese Freiheiten in Stein hauen und den Stein öffentlich aufstellen lassen.

Ennen und Eckertz, Geschichtsquellen der Stadt Köln 2, S. 543. Zit. nach der Übersetzung in: Rolf Ballof u.a.: Deutsch-jüdische Geschichte - Quellen zur Geschichte und Politik. Texte und Quellen in Auswahl, Klett Tempora, Stuttgart/Leipzig 2007,  S.28. Herausgegeben vom Arbeitskreis “Deutsch-jüdische Geschichte” des Verbandes der Geschichtslehrer Deutschlands.

Kölner_Privileg1266

Heute noch erhaltene Tafel mit der lateinischen Inschrift des Privilegs von 1266.
Wikimedia Commons

Bei den Cauvercini, eingedeutscht oft Kawerschen u.ä. genannt, vom Französischen her auch Cahorsen (Cahorsins), handelt es sich ursprünglich eindeutig um Kaufleute aus der südfranzösischen Stadt Cahors. Die oft vorgenommene Gleichsetzung mit den italienischen Lombarden ist historisch falsch; allerdings wurden die Begriffe in der damaligen Zeit oft unterschiedslos für Bankiers aus dem Süden gebraucht, siehe dazu auch in der nachfolgenden Quelle.

Kommentar:

Das Geldprivileg für die Juden in Köln 1266 macht auf eindrucksvolle Weise deutlich, dass, wenn es ein jüdisches Monopol auf Geldverleih gab, dies nicht bedeutet, dass es keine christlichen Geldverleiher gegeben hätte. In diesem Fall wurde die christliche Konkurrenz, doppelt angesprochen als Cauvercini sowie nachfolgend allgemeiner als “Christen, die offen auf Wucher leihen”, zugunsten der Juden ausgeschaltet, andernorts war es umgekehrt.

Das Privileg selbst bestätigt also, dass es nicht nur jüdischer, sondern auch christliche “Wucherer” im Mittelalter gab. Wucher war damals noch gleichbedeutend mit Zins schlechthin, erst später wurde zwischen erlaubtem und unerlaubtem Zins unterschieden und letzterer als Wucher bezeichnet.

4.4. Der Züricher Richtebrief von 1304 über Zinssätze

Ausschnitt aus den Bestimmungen über Zinssätze aus dem Züricher Richtebrief von 1304. Der Richtebrief ist das älteste erhaltene Stadtrecht von Zürich, Hinweise auf Vorläufer gibt es für die Zeit ab 1250.  - Wikimedia Commons

Im Abschnitt 5 des Richtebriefs werden Höchstzinssätze von Juden und Kawertschen für Wochenkredite festgelegt.

Züricher Richtebrief 1304

Wie teuer man Pfennige und Silber leihen soll.
Wenn der Jude oder der Caurtschin
den Bürgern eine Mark Silber zur
Woche teurer leiht als zu sechs Pfennigen,
und ein Pfund um zwei, und zehn
Schillinge um ein Pfennig, und
fünf Schilling um mehr als ein Helbeling. So oft
er es tut gegen die Bürger und
gegen die, die ihnen unterstehen, so oft
gibt er eine halbe Mark*.
Die Caurtschin wie
Juden sollen ungewarlich** Silber und Pfenni-
ge leihen auf
Pfänder und Bürgen
.

* = Strafe   **= ohne Gewähr, d.h. auf eigenes Risiko

Caurtschin: siehe Erklärung weiter unten
Schilling, Pfennig, Helbeling (= Halbling): Münzen
1 Schilling = 12 Pfennige, 1 Halbling = ½ Pfennig,
Mark: Gewichtseinheit, 1 Mark Silber = 240 Pfennige

Wikipedia

 

Die bei Wikipedia wiedergegebene Transkription geht zurück auf: Friedrich Ott (Hrsg.): Der Richtebrief der Bürger von Zürich, in: Archiv für Schweizer Geschichte 5, Zürich 1847:
Wenn «der juden ald der Caurtschin einem Burger eine March Silber teurer als zu sechs Pfennigen (zwer wuchon türo liet dan umbe sechs pfenninge), und ein Pfund um mehr als zwei, und zehn Schillinge um mehr als ein Pfennig, und fünf Schilling um mehr als ein Helbeling [ebenfalls eine Münze], so soll er, als oft er es tut (als diche er’s tuot), entsprechend oft eine halbe March zu geben gezwungen werden».
Diese Transkription ist sprachlich jedoch nicht ganz korrekt (“dien Burgeren” ist ein  Plural, “liet” = “leiht” wurde vergessen).

Wichtig ist, dass die Bestimmungen gleichermaßen Juden und Kawertschen betreffen. Was dem Wikipedia-Autor, vielleicht wegen der Anlehnung an das Buch von 1847, nicht klar ist, ist der Kontext und die Rolle der als Kawertschen benannten Geldverleiher oder Bankiers. So heißt es auf der Seite von Wikipedia, dass “Geldwechsler, Geldverleiher und im heutigen Sinn Bankiers abwertend als Kawertschen respektive Cahursiner (Caurtschin) bezeichnet” wurden. Diese Interpretation entspringt jedoch nur der klischeehaften Vorstellung vom unmoralischen Geldgeschäft im Mittelalter, tatsächlich ist daran nichts Pejoratives, es handelt sich lediglich um Bezeichnungen für die Herkunft der Geldverleiher. Juden, Kawertschen oder (richtig!) Cahursiner (aus der südfranzösischen Stadt Cahors) sowie Lombarden waren die gängigen Bezeichnungen für Geldverleiher, die entweder Juden waren oder Christen aus Frankreich oder Italien. Für Zürich waren unter den christlichen Geldverleihern offenbar die Cahursiner oder Franzosen die Referenzgruppe (oft wurde die jeweilige Zuordnung pars pro toto gegeben, siehe dazu auch in der vorherigen Quelle).

Für die Berechnung der Zinsen verweise ich auf den hervorragenden Mittelalter-Rechner.

W. Geiger, 2.8.2010

 

Zum Thema Geldverleih siehe auch auf Mittelalter 1  sowie unsere Seiten zum Historikertag 2006 und das Thema Geldverleiher-(mit  einer ausführlichen Bibliographie) von der Tagung in Halberstadt 2007. Außerdem zum Thema Geld im Mittelalter: Historia Universalis (> Mittelalter 2)

Siehe auch:
Wolfgang Geiger: “Christen, Juden und das Geld. Über die Permanenz eines Vorurteils und seine Wurzeln”, in: Einsicht 04. Bulletin des Fritz Bauer Instituts, Herbst 2010, S.30-37. - Das ganze Heft ins online als pdf-Datei verfügbar: hier.

 

5. Zitate von Historikern zum Thema Geldverleih

5.1. Jacques Heers, Le Moyen Age - une imposture, Paris (Perrin) 1998, 2008.

In seinem vor kurzem erschienenen Buch
La naissance du capitalisme au Moyen Age. Changeurs, usuriers et grands financiers, Paris (Perrin) 2012
analysiert der Honorarprofessor der Sorbonne Geldwesen und Finanzwirtschaft in Mittelalter, v.a. in Bezug zu den italienischen Vorreitern des modernen Bankgeschäfts. Das kirchliche Zinsverbot wird hier am Beispiel Hunderter namentlich bekannter christlicher Bankiers als Mythos offenbart. In einem früheren Buch, das sich im Weiteren mit der Widerlegung der hartnäckigen Legenden über das Mittelalter befasst - die Konzeption des Mittelalters selbst wird als eine Art ”Täuschung”  (imposture) gegeißelt -, hat er schon die wesentlichen Erkenntnisse zusammengefasst. Wir zitierten daraus einige zentrale Aussagen aus dem Abschnitt”L’usure et le temps des tabous” (Der Wucher und die Zeit der Tabus).

Zwischen Großhändlern, Reedern oder Bankiers ging nichts ohne den ständigen Rückgriff auf Kapitalien von Dritten, die ihr Geld anlegten, Risiken und Profite abschätzten und gerne spekulierten. Einerseits durch verschiedene Formen kommerzieller Vereinigungen, die alle weit verbreitet und absolut statthaft waren: in Italien zum Beispiel commenda, sopcietas, colleganza, florentinische Compagnien auf familiärer Grundlage, genuesische Compagnien, a carati genannt, ganz und gar anonym. Andererseits durch Anleihen, die durch verschiedene und immer komplexere Praktiken verschleiert wurden [...] [p. 309]

Die Juden waren nicht nur Pfandleiher, weit gefehlt: Wir finden unter ihnen gemeinhin kleine Kaufleute, Händler von Getreide und Vieh auf dem Land, Handwerker in der Leder- und Textilbranche, Ärzte in den Städten.

Bei den Geschäften schlossen die jüdischen Geldverleiher sich nicht von der guten christlichen Gesellschaft ab. Sie arbeiteten oft mit Finanziers der Stadt oder einfachen Bürgern auf der Suche nach guten Investitionen zusammen; soweit, dass das von Juden verliehene Geld gemeinhin von städtischen Familien stammte, die sich ihrer als Mittelsmänner bedienten um diese Aktivitäten nicht offen ausüben zu müssen, ihre Geldmittel zu verstecken und keine Steuern auf die Einnahmen zu bezahlen. [...] [p. 314]

Wie kann man den Wucher so eng der Eigenschaft des Nicht-Christen [d.h. des Juden, W.G.] zuschreiben, wo doch die Konkurrenten der Juden bei der Pfandleihe auf dem Land und in der Stadt die “Cahorsins” [Kawertschen] und dann jene waren, die man gemeinhin “Lombarden” nannte. [...] [p. 315]

1294 erhielten sechs Bürger vom Grafen das Monopol der Bank- und Wechselgeschäfte; sie verliehen regelmäßig gegen Zins an jedweden, ohne Pfand zu verlangen dank der Garantie durch den Fürsten; diese Männer stammten aus bekannten ehrenwerten Familien, waren manchmal Ratsmitglieder, Makler für Wolle oder Tuchhändler. [...] [p. 321].

Das Verfahren der Kredite gegen Pfänder auf Grundbesitz war jedoch seit langem bekannt. Alle Veröffentlichungen, die das ländliche Leben und die Situation der Menschen beschreiben, haben dies erwänt, aber oft ohne darauf zu insistieren oder dessen Bedeutung hervorzuheben. [...] [p. 322]

Die Pfandleiher waren weder Juden noch Lombarden und auch nicht immer Großbürger, Geldwechsler oder Kaufleute, sondern meistens Handwerker aus dem Dorf oder sogar Bauern selbst, die derselben ländlichen Gemeinschaft angehörten, also Nachbarn, die besser gestellt waren. [p. 323].

Übersetzung W. Geiger, 3.9.2014

 

5.2. Johannes Fried: “Zins als Wucher. Zu den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Predigt gegen den Wucherzins”, Einhührung zu: Jacques Le Goff: Wucherzins und Hollenqualen. Ökonomie und Religion im Mittelalter, Stuttgart (Klett-Cotta) 2. Aufl., 2008, S. S. 134-174. Der ergänzende Text von Fried erschien erstmals in dieser Ausgabe, die Erstausgabe des Buches datiert von 1986 (Frankreich) bzw. 1988 (Deutschland).

Fried relativiert die von Le Goff analysierte theologische Debatte der Kirche über Geldverleih und Zins imn sozialgeschichtlichen Kontext, d.h.  hinsichtlich der Frage ihrer konkreten gesellschaftlichen Auswirkungen angesichts offenkundigen vielfachen Bruchs der kirchlichen Doktrin durch christliche Geldverleiher. Wie bei Jacques Heers (s.o.) geht es dabei auch um die Zusammenarbeit zwischen Christen und Juden im Bankgeschäft.

Die Christenheit folgte den kanonischen Geboten nicht. Gewiss, Wucher war ein kirchenrechtliches Offizialdelikt, das vom geistlichen Gericht von Amts wegen zu verfolgen war; es geschah, soweit bislang bekannt, selten genug. [...] Nicht einmal die hohe und höchste Geistlichkeit hielt sich an die eigenen Verbote. [...] [S. 143].

Bereits seit dem 11. Jahrhundert und auch noch im späteren Mittelalter lassen sich außerdem Kapitaleinlagen von Christen, etwa eines Grafen, bei jüdischen Geldhändlern nachweisen, wobei der Geldhandel keineswegs den einzigen, wohl nicht einmal den wichtisten Erwerbszweig der Juden im mittelalterlichen Deutschland darstellte. [...] [S. 144f.]

Zins war Diebstahl, so hieß es bei den Kanonisten und Theologen. Der Dieb nun wurde gehängt, dem christlichen Wucherer aber drohte vor 1211/12 bloß die Hölle, kein Galgen. Zinsnahme war offenbar bloß moralischer Diebstahl, nicht rechtlich. [...Î Das weltliche Recht folgte freilich den kirchlichen Vorgaben in der Regel nicht; es suchte bestenfalls die Zinshöhe zu normieren. [...] [S. 154].

Das Konzil von Vienne 1311/12, schreibt Fried, versuchte diese Kluft zwischen kirchlichem und gesellschaftlichem Recht zu schließen und kategorisierte nun hartnäckigen Wucher nicht mehr nur als Sünde sondern als Häresie, worauf die Strafe des Scheiterhaufens stand. Verhindert hat dies die Zinspraxis jedoch auch nicht und kein Scheiterhaufen wurde je für einen Wucherer errichtet.

 

Weitere Texte und Quellen zum Finanzwesen im Mittelalter auf historia universalis.

 

Weiteres folgt...

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