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Chanukka-LeuchterChanukka-Leuchter Frankfurt a.M. 1680 - Jüdisches Museum Frankfurt

© Jüdisches Mus. Frankfurt

AG Deutsch-Jüdische Geschichte

im

Verband der Geschichtslehrerinnen und -lehrer


Deutsc
hlands (VGD)

Dr. Edith Hambach

„Ein Schritt nach vorn, zwei Schritte zurück“
 Die  Ideologie des christlichen Staates und  die reaktionäre Verwaltung als bestimmende Faktoren der preußischen Entwicklung nach dem Edikt von 1812

Vortrag auf der Tagung:

Integration und Ausgrenzung
Deutsch-jüdisches Zusammenleben in der Geschichte. Erarbeitung neuer Sichtweisen für den Unterricht

Seminar der Bundeszentrale für politische Bildung,  Bonn, in Zusammenarbeit mit dem Verband der Geschichtslehrer Deutschlands und der Moses Mendelssohn Akademie Halberstadt
Halberstadt 15. – 17. April 2007

Im  Tempora-Quellenheft zur Deutsch-Jüdischen Geschichte des Klettverlages habe ich das  Kapitel 5, 1815 – 1869: Auf dem Weg zur Gleichberechtigung verfasst und im ersten Abschnitt einen Abriss der preußischen Judenpolitik gegeben, in einem zweiten Schritt dann einige jüdische Vertreter der Emanzipation herausgestellt und zum Schluss bei der Grundrechtsdebatte in der Paulskirche die bestimmende Rolle Gabriel Riessers (1806 – 1863)  als jüdischen Publizisten und demokratischen Politiker  hervorgehoben. Deshalb erwähne ich ihn hier nur im Kontext  des Vormärz , will dafür den Ostpreußen  Johann Jacoby (1805 – 1877) und seinen Einfluss auf die revolutionäre Entwicklung in Preußen genauer betrachten und  die grundlegenden Mentalitätsprobleme aufzeigen, die in der Restaurationsphase und im Vormärz dazu führten, die Umsetzung des Emanzipationsediktes von 1812 zu verhindern und wesentlich Bestimmungen gänzlich abzuschaffen.

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        Foto: Wikipedia / zu Gabriel Riesser siehe auch hier

Der sehr  enge Geltungsbereich des Edikts von 1812 muss immer im Auge behalten werden. Es galt nur für die mit Schutzbriefen und Konzessionen versehenen Juden in den vier Provinzen Brandenburg, Schlesien, Pommern und Ostpreußen. Auf das Rheinland,  andere westelbische Gebiete und  das Großherzogtum Posen, die Preußen auf dem Wiener Kongress 1815 zugesprochen erhielt,  wurde es nicht ausgedehnt. So besaßen bis 1848  weniger als ein Viertel der  preußischen  Juden  staatsbürgerliche Rechte. Preußen hatte  bis zum Vorabend der Revolution 18 verschiedene Judenrechte, drei allein für die Rheinprovinz.  Wesentliche Errungenschaften der Napoleonischen Zeit gingen  hier verloren, das gilt auch  für andere deutsche Länder und Gebietsteile, da der Wiener Kongress die bisherigen Emanzipationsgesetze in großen Teilen zur Disposition stellte. Der Preußische Gesandte Wilhelm v .Humboldt hatte die Verhandlungen dazu benutzen wollen, die Emanzipation für die Mitglieder des deutschen Bundes festzuschreiben und einheitliche Regelungen auf Bundesebene herbeizuführen, scheiterte aber besonders am Einspruch von Frankfurt und Hamburg.

Gegen Bestrebungen,  auch den jüdischen Teilnehmern an den Befreiungskriegen den Zugang zu Staatsämtern zu öffnen, wandten sich 1815 sofort der Finanzminister Hans Graf von Bülow und der Justizminister Friedrich Leopold von Kircheisen in Voten an den preußischen König. Ihr moralischer Zustand müsse erst verbessert werden, so Bülow, und Kircheisen führte aus, „weniger Moralität“ könne durch „temporelle Tapferkeit nicht entkräftet“ werden, auch kenne er ja die Abneigung des Königs gegen Juden im Staatsdienst. (Juden in Berlin, 80/81).

In der Bundesversammlung gab es  in der restaurativen Phase der Emanzipationszeit zwischen 1815 und 1847 keine Basis für ein neues Judenrecht auf den Prinzipien staatsbürgerlicher und gemeindebürgerlicher Gleichheit. Die Emanzipationsdiskussion fand in dieser Zeit fast nur in den Landtagen der konstitutionellen Staaten des Südens und Südwestens statt, vorzugsweise in Baden, ausführlicher Ratgeber war  Gabriel Riesser. Dabei wurde aber am Prinzip einer allmählichen Emanzipation festgehalten und von einem Erziehungskonzept ausgegangen, das die als traditionell jüdisch angesehenen Denk- und Handlungsweisen ablösen sollte zugunsten einer Assimilation, die auch bei weiten Teilen des liberalen Bürgertums auf eine völlige Aufgabe des Judeseins, d. h. auf die Taufe hinauslief.

 Der § 9 des Edikts von 1812, der Juden von „öffentlichen Bedienungen und Staats-Aemtern“ ausschloss, d. h. zu deren Zulassung sich weitere gesetzliche Bestimmungen vorbehalten wurden, bot das Einfallstor, den Ausschluss auch auf gemeindliche Ehrenämter und auf die akademischen Lehr- und Schulämter auszudehnen, zu denen sie nach § 8 zugelassen waren. Die Provinziallandtage nahmen zwischen 1824 und 1828 eine eindeutig ablehnende Haltung zur Emanzipation ein und die Verwaltungspraxis lief  darauf hinaus, Juden faktisch von allen politischen Rechten auszuschließen und  wieder nur die Privilegierung Einzelner durch Ausnahmeverfügungen zuzulassen. Eine zunehmend reaktionäre Bürokratie hintertrieb durch immer mehr Ausnahmebestimmungen die rechtliche und gesellschaftliche Integration. Gesperrt wurden nacheinander u. a.  folgende Berufe und Funktionsämter: Feldmesser 1820, Abgeordneter in den Provinzialständen 1823, Scharfrichter 1827,  Bürger- und Oberbürgermeister 1831, Schiedsmann 1835, Magistratstellen, die mit der Ausübungen polizeilicher Gewalt verbunden waren sowie das Tragen von Uniformen für jüdische Rittergutsbesitzer 1841. Die im Edikt zwingend vorgesehene Namensannahme und die zunächst liberal gehandhabte Namensvergabe führten 1841 zu einem endgültigen Verbot christlicher Vornamen, da man nur so eine Vorwegqualifikation vornehmen konnte, die die Nachnamen allein nicht boten. Schon 1823 hatte das Ministerium des Innern eine Akte mit dem Betreff angelegt: „die Beseitigung des Ãœbelstandes, an den Börsen nicht zu jeder Zeit mit der Zuverlässigkeit ausmitteln zu können, ob ein Kaufmann Christ oder Jude sey.“ (Bering, 77). Friedrich Wilhelm III. hatte wiederholt Ordre gegeben, dass Juden keine christlichen Vornamen tragen sollten.

 Die Hintergründe des Ausschlusses von allen  akademischen Schul- und Lehrämtern 1822 erhellt die Entstehung der sog. lex Gans. Der jüdische Jurist Eduard Gans (1797 – 1839) wollte sich an der Universität von Berlin gemäß  § 8 des Emanzipationsediktes habilitieren. Zwei Jahre erhielt er keine Antwort, beschwerte sich deshalb 1821 beim preußischen Unterrichtsminister und schrieb im Begleitbrief: „Ich gehöre zu der unglücklichen Menschenklasse, die man haßt, weil sie ungebildet ist, und die man verfolgt, weil sie sich bildet.“ (Richarz 55) Staatskanzler Hardenberg setzte sich vergeblich  für ihn ein. Die Folge  war, dass der König auf Gans’ Gesuch hin den entsprechenden  Paragraphen gänzlich  aufhob  und somit jüdischen Akademikern die Hochschullaufbahn bis 1847 verschlossen blieb. Und auch dieses Gesetz „die Verhältnisse der Juden betreffend“  machte nur partielle Zugeständnisse: „An Universitäten können Juden, soweit die Statuten nicht entgegenstehen, als Privatdozenten, außerordentliche und ordentliche Professoren der medizinischen, mathematischen, naturwissenschaftlichen, geografischen und sprachwissenschaftlichen Fächer zugelassen werden. Von allen übrigen Lehrfächern an Universitäten, sowie von dem Akademischen Senate und von den Ämtern eines Dekans, Prorektors und Rektors bleiben sie ausgeschlossen.“ (Richarz 66) Gans suchte in der Taufe seinen persönlichen Ausweg.

Der Vereinigte  Preußische Landtag hatte zwar mit dem Gesetz von  1847 abermals das schon 1840 geäußerte Ansinnen Friedrich Wilhelms IV. abgelehnt, die Juden aus dem Staatsverband aus- und in einer eigenen Korporation zusammenzuschließen, also als  separaten Volkskörper außerhalb des christlichen Staatsvolkes zu stellen. Zu einer vollständiger Emanzipation führte es  jedoch auch nicht, es vereinheitlichte aber die preußischen Gesetze, gewährte Freizügigkeit und das passive Wahlrecht auf kommunaler Ebene, wobei die Provinz Posen wiederum ausgeschlossen blieb, für die weiterhin die „Vorläufige Verordnung wegen des Judenwesens im Großherzogtum Posen“ aus dem Jahre 1833 galt, das die Juden in zwei Klassen eingeteilt hatte, aber auch den zur Erlangung der Naturalisation Geeigneten kein freies Ansiedlungsrecht gewährte. Gabriel Riesser sagte  über das Gesetz von 1847, dass es eher ein Ausgangspunkt als ein Ende des Kampfes darstelle und der Erfolg überhaupt davon abhängen würde, ob das Verfassungswesen in Preußen Boden und Macht und Leben gewönne. Großen Einfluss auf die Staatsanschauung Friedrich Wilhelms  IV. und den königlichen Hof  hatte der 1819 zum Christentum konvertierte  Friedrich Julius Stahl, geboren als Julius Jolsen, der königlicher Berater und Angehöriger des Berliner Oberkirchenrates war, dazu  auf Lebenszeit berufenes Mitglied des Preußischen Herrenhauses und seit 1847 Parteiführer der Konservativen. Seine beiden Vornamen hätte er als ungetaufter  Jude nicht führen dürfen, denn schon 1816 hatte Friedrich Wilhelm III.  bestimmt, dass er seinen  Namen „keinem Judenkinde beylegen lassen kann, welches nicht getauft wird“ (Bering  68)  und auch  Julius sollte, da unter Christen üblich, keinem jüdischen Kinde zustehen.

 Die Wertvorstellung vom christlichen Staat  hatte sich erhalten,  in dem die Juden, national unzuverlässig,  einen Staat im Staate bilden, ihn  letztlich unterwandern und usurpieren wollen.  Deswegen musste ihnen das Bürgerrecht verweigert oder wieder entzogen werden. Der Gedanke, Juden aus der Volksgemeinschaft auszuschließen, war in einem Teil der geistigen Elite, die sich um den Dichter Achim von Arnim  in der Christlich- Deutschen Tischgesellschaft 1811 versammelt hatte,  nach den napoleonischen Niederlagen  zusammen mit einem übersteigerten Nationalismus besonders virulent Mit dem Schüren des aufschäumenden Nationalismus beim Ruf nach Einheit vertraten die Mitglieder   wie der Hochschullehrer, Dichter  und Publizist Ernst Moritz Arndt Volkstumslehren, die von einer abgestuften Theorie der Menschenrassen ausgingen. So begründeten sie ihre Judenfeindschaft nicht mehr religiös, sondern rassisch. Der Arierparagraph in ihrer Satzung besagte, dass Juden, getaufte Juden und deren Nachkommen ausgeschlossen seien, was Saul Ascher (1767 – 1822), den jüdischen Berliner Buchhändler, Schriftsteller und überzeugten Republikaner zu der Bemerkung veranlasste:“ Weiter kann doch wahrlich die Reinheit nicht getrieben werden!“ (Juden in Berlin, 80).

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           Gemälde von Moritz Daniel Oppenheim, 1831. Wikipedia

Ascher wandte sich in seiner Streitschrift Germanomanie 1815  gegen den wütenden Franzosen- und Judenhass der romantischen Agitatoren, die germanische Mythen spinnenden fanatischen Deutschtümler aus dem Kreis und dem Umkreis  der Tischgesellschaft. Diese Schrift verbrannten  die Burschenschaftler, die die Gedanken der „Blutsgemeinschaft“ und des eigenen „deutschen Volkstums“ faszinierte,  1817 auf dem Wartburgfest neben 27 sog. „undeutschen Schriften.“  Heinrich Heine (1797 – 1856)  spottete zwar  über Ascher als Fossil einer vergangenen Aufklärungsepoche, karikierte aber in seiner Teutomanie 1840 ebenfalls den beschränkten Nationalismus und den Fremden- und Judenhass der deutschtümelnden Burschenschaftler, die nichts besseres wussten, als Bücher zu verbrennen und deren studentische  Nachfahren in den Bierkellern schon fleißig Proskriptionslisten anfertigten.

Trotz dieser starken antiaufklärerischen Strömungen, die gestützt wurden durch Schriften wie „Über die Ansprüche der Juden an das deutsche Bürgerrecht“ des Geschichtsprofessors Friedrich Rühs, der den Juden bei Ablehnung der Taufe gewaltsame Ausrottung androhte oder des Philosophen  Friedrich Fries „Über die Gefährdung des Wohlstandes und des Charakters der Deutschen durch die Juden“ ist  im Blick auf die Gesamtentwicklung doch an Reinhard Rürups Einschätzung festzuhalten, dass das Emanzipationsedikt von 1812 stets „als ein Meilenstein in der allgemeinen Geschichte der Judenemanzipation“ betrachtet werden kann. („Juden in Preußen“, 33).  Emanzipation wurde generell zum politischen Schlagwort der liberalen und demokratischen Bewegung in Deutschland seit den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts. Die  schon oben erwähnte Vorstellung Friedrich Wilhelms IV., die Juden in Preußen durch ein einheitliches Gesetz als „eigene Nation“, also als separaten Volkskörper außerhalb des christlichen Staatsvolkes stellen zu können, führte von jüdischer Seite zu einer Flut von Petitionen. Die Mehrheit der jüdischen Gemeinden sah sich trotz all der restriktiven Politik im Gefolge der Aufklärung als Teil der Mehrheitsgesellschaft, ihre intellektuellen Wortführer erklärten die Religion zur Privatsache in einem auch von ihnen herbeigesehnten Einheitsstaat, in dem sie als freie Bürger leben und uneingeschränkte demokratische Rechte genießen wollten. In großen Teilen des liberalen Bürgertums hatte sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die von ihnen erstrebte Demokratisierung der Regierung nur auf der Idee der Gleichheit aller Bürger einschließlich der Juden beruhen konnte.

Besonders in der preußischen Rheinprovinz herrschte eine emanzipationsfreundliche Stimmung, die Forderung nach Judenemanzipation gehörte zum Kanon des rheinischen Liberalismus. Der 7. Rheinische Provinziallandtag befürwortete 1843 die uneingeschränkte Emanzipation der Juden. Die preußischen Behörden begannen in diesen Jahren, in Enqueten Informationen über die aktuelle Lage der Juden zusammenzutragen. Die Stellungnahmen der Provinzialregierungen zeigten jetzt eindeutig eine  Tendenz gegen die vom König gewünschte Idee einer jüdischen Korporation und die Befürwortung einer aktiv betriebenen Assimilation.  Trotz emanzipationsfeindlicher Stimmen in der Öffentlichkeit und einer in ihren Vorurteilen aufgehetzten Landbevölkerung, trotz Verzögerungen und Rückschlägen schritt die Emanzipation besonders in den Städten voran, die wirtschaftliche Modernisierung und die Erfordernisse der beginnenden Industrialisierung bewirkten, dass eine jüdische Mittel- und Oberschicht in die Gesellschaft hineinwuchs. Eine kleine Minderheit jüdischer Intellektueller schloss sich den  oppositionellen Strömungen des Liberalismus und der Demokratie an. Der Großteil der Landjuden dagegen blieb bis zur Revolution von 1848, da die ihnen vorgegebene Wirtschaftsstruktur nicht wirklich aufgebrochen war, den althergebrachten Denk- und Lebensweisen verhaftet und stand meist loyal zu den jeweiligen Herrscherhäusern.

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             Original: Gemälde vor 1828, siehe Wikipedia

Unter den zahlreichen jüdischen Reformern und Kämpfern für eine umfassende Emanzipation der jüdischen Minderheit wie z. B. Israel Jacobson, Eduard Gans, Leopold Zunz, Ludwig Philippson muss  neben Gabriel Riesser besonders Johann Jacoby, der wohl bedeutendste Demokrat des Vormärz herausgestellt werden. Mit seiner Flugschrift „Vier Fragen beantwortet von einem Ostpreußen“ 1841 setzte er die preußische Verfassungsdebatte in Gang. Hier artikulierte er die Ziele der bürgerlichen Opposition. Seiner Meinung nach musste der Kampf um jüdische Emanzipation in den Kampf um allgemeine demokratische Rechte eingebunden sein. Er wurde in Berlin als Abgeordneter für die Verfassunggebende Versammlung in Preußen gewählt, die seit Mai 1848 tagte. Mitglied war auch der Bruder des Königs, Prinz Wilhelm, der Kartätschenprinz und spätere deutsche Kaiser. Jacoby antwortete ihm auf eine provozierende Rede, die dieser  in voller Generalsuniform hielt: „ Bis  zu den Tagen des März war die Souveränität, die Machtvollkommenheit bei den Fürsten. Ihr Wille war das entscheidende Gesetz, Gehorsam und Unterwürfigkeit das Los der übrigen Landesbewohner. Anders ist es jetzt. In den Tagen des März hat sich gezeigt, dass keine Macht der Erde dem eindeutigen Willen des Volkes zu widerstehen vermag.“ Dem habe sich selbst der König zu unterwerfen. (Wesel, Zeit, 28. 4. 2005) Bewundert wurde er für seine Zivilcourage gegenüber König Wilhelm IV., als er mit einer Abgeordnetendelegation  der Nationalversammlung Anfang November 1848 nach Sanssouci ging, die statt  des erzkonservativen  reaktionären Minister- präsidenten Graf Friedrich Wilhelm von Brandenburg um die Einsetzung eines Liberalen bat. Da der König sich wortlos abwandte, sagte  Jacoby unter Verletzungen des höfischen Protokolls: „Wir sind nicht bloß hierher gesandt, um Eurer Majestät eine Adresse zu überreichen, sondern auch, um Eurer Majestät über die wahre Lage des Landes mündlich Auskunft zu geben.“ Als Jacoby auf das Schweigen des Königs hin nochmals um  Gehör bat,  sagte dieser Nein und wandte sich zum Gehen. Jacoby rief ihm hinterher: „Das ist das Unglück der Könige, dass sie die Wahrheit nicht hören wollen!“ (Grab, 272)  Der weitere Verlauf ist bekannt, Generalfeldmarschall Wrangel trieb im Auftrag des Königs, der sich des Militärs wieder sicher war, die preußische Nationalversammlung im Schauspielhaus auseinander, der König erließ im Dezember 1848 eine oktroyierte Verfassung, Preußen wurde zu einer konstitutionellen Monarchie, Jacoby  in die neu geschaffene zweite Kammer gewählt, die der König aber schon Ende April wieder auflöste. Die Verfassung schied  im Artikel 12 die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte von der Religionszugehörigkeit, sah allerdings im Artikel 14 vor, dass die christliche Religion für alle Einrichtungen bindend blieb, die sich auf die Religionsausübung bezogen, also waren  Staatsämter und der Schuldienst  weiterhin verschlossen. Jacoby, ein demokratischer Linker, war Mitglied des Frankfurter Vorparlaments und gehörte als einziger Jude dem Fünfzigerausschuss an, der die Wahlen zur Nationalversammlung vorbereitete, im Februar 1849 stimmte er der Paulskirchenverfassung zu.

 Jacobys Leben blieb weiterhin  ereignisreich. Wurde er schon vor 48 wegen seiner Kampfschriften und Broschüren, mit denen er gegen die strengen preußischen Zensurbestimmungen verstieß, von den Behörden verfolgt, so gehörte er als Berliner Nachrücker zum Rumpfparlament, das  in Stuttgart auseinandergetrieben wurde. Er floh in die Schweiz, wurde wegen Hochverrats angeklagt, verteidigte sich selbst vor dem Königsberger Oberlandesgericht und wurde, eine Sensation, frei- gesprochen. Ab 1863 saß er in der Zweiten Kammer des preußischen Abgeordnetenhauses, wandte sich vehement gegen die preußische Militärdiktatur und die Bismarcksche Blut- und Bodenpolitik, was ihm zwei Kerkerstrafen einbrachte. 1872 trat er der sozialdemokratischen Arbeiterpartei bei, weil er erkannte, dass die beiden gesellschaftlichen Außenseitergruppen, die Juden und die Proletarier, gemeinsame Interessen hatten.  Jacoby hat sich wie Riesser nie taufen lassen und sich schon 1833 dagegen ausgesprochen, den Juden nur schrittweise die  Emanzipation zu gewähren, quasi als Belohnung für gute Führung. Der Kampf um die jüdische Emanzipation musste nach seiner Ansicht in den Kampf um allgemeine demokratische Rechte und Befreiung eingebunden sein.

Die Geschichte der jüdischen Emanzipationsbewegung lässt sich problemlos in die allgemeine preußische und deutsche Geschichte integrieren, dabei sollte aber auf die gleichzeitige Darstellung der wirtschaftliche Entwicklung nach den Preußischen Reformen geachtet werden. Preußen wollte ein leistungsfähiges Bürgertum in den Städten schaffen, das sich ohne Zunftzwang dem freien Wirtschaftsverkehr widmete und ein Bauerntum ohne die drückenden Feudallasten. Viele Bauern waren aber  nicht in der Lage, die Ablösegelder zu zahlen, so dass es zum Aufkauf der Bauerngüter durch den Adel kam und  eine Unterschicht von Kleinstbauern und besitzlosen Landarbeitern entstand. Der Freihandel, die  Aufgabe des Zunftzwanges und des Gewerbe- monopols führten überdies  zu einer Fülle von Kümmerexistenzen, was  zusammen mit einem hohen Bevölkerungswachstum und wiederholten Missernten und Teuerungen eine Massenarmut (Pauperismus) hervorrief, da die Industrialisierung mit großem Arbeitskräftebedarf erst ab den 30er Jahren sehr verzögert eingesetzte.

Die aufgeklärt-etatistische preußische Judenemanzipation hatte eine allmähliche Hinführung der Juden zu handwerklichen und landwirtschaftlichen Berufszweigen vorgesehen.  Jetzt kam ihnen  zugute, dass sie ihre Berufsstruktur im wesentlichen nicht verändert hatten, sie konnten sich im Handelsgeschäft halten und es ausbauen, das Darlehens- und Pfandgeschäft ausweiten und ins Geschäft der Staatskredite einsteigen. Dass die Juden auf das neue Leistungs- und Konkurrenzsystem besser reagieren konnten als andere Sozialgruppen, führte nach 1815 immer wieder zu Unruhen und Ausschreitungen, da insbesondere arbeitslose Handwerksburschen und verschuldete Bauern ihnen die Schuld an ihrer Misere gaben.

Generell war der Emanzipationsprozess trotz der Restaurationsphase in den 50er Jahren nicht aufzuhalten, die 60er Jahre zeigten, dass die Diskriminierung nicht mehr dem industriellen take-off, den veränderten ökonomischen Bedingungen entsprach. Immer mehr Länder hoben die letzten Beschränkungen jüdischer Bürgerrechte auf. Im Norddeutschen Bund entschied 1869 ein Gesetz aus einem Paragraphen die Aufhebung der Bindung staatsbürgerlicher Rechte an die Religion. Dieser Paragraph wurde in die Reichsverfassung von 1871 übernommen.

 

Auswahlbibliographie

Brammer, Annegret, Judenpolitik und Judengesetzgebung in Preußen 1812 – 1847, Berlin 1987

Bering, Dietz, Der Name als Stigma. Antisemitismus im Deutschen Alltag 1812 – 1933, Stuttgart 1987

Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz  (hg)., Juden in Preußen, Dortmund 1981, R. Rürup, „Juden in Preußen“, S. 30 – 38

Grab, Walter, Zwei Seiten einer Medaille. Demokratische Revolution und Judenemanzipation, Köln 2000

Juden in Berlin 1671 – 1945. Ein Lesebuch mit Beiträgen von..., Berlin 1988

Richarz, Monika, „Juden, Wissenschaft und Universitäten“, in: Walter Grab (hg.), Jahrbuch des Instituts für Deutsche Geschichte, Beiheft 4, Tel-Aviv 1982, S. 55-74

Rürup, Reinhard, Emanzipation und Antisemitismus, fibu 1987

Steinacker, Karl, „Emanzipation der Juden“, Staatslexikon von Rotteck/Welcker (hg) 1846, online-Version

http://www.judaica-frankfurt.de/content/structure/111870

Wesel, Uwe, „Die Prophezeiung des Doktor Jacoby“, Die Zeit Nr. 18, 28. April 2005

Haskala.net - eine Website der Universität Potsdam mit einem Gesamtverzeichnis der Autoren der Haskala und vielen digitalisierten und online verfügbaren Originaltexten.

 

 

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Grabmal Gabriel Riesser auf dem jüdischen Friedhof in Hamburg-Ohlsdorf
Foto: Wikipedia

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