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hlands (VGD)

1914-1933:
 Erster Weltkrieg und Weimarer Republik

Texte und Quellen

1. “Mehr Selbstbewusstsein!” Vizepolizeipräsident Bernhard Weiß gegen die NSDAP 1932

2. Weitere Infos und Links zu Bernhard Weiß

Weiteres folgt...

Mehr Selbstbewusstsein
Von Polizeipräsident Dr. Weiß, Berlin

C.V.-Zeitung. Blätter für Deutschtum und Judentum
Organ des Central-Vereins der deutschen Staatsbürger jüdischen Glaubens e.V.
XI. Jg. Nr. 23, 3. Juni 1932, S.233f.

     Die letzten Parlamentswahlen haben es auch dem Mindesten vor Augen geführt: das soge- nannte „freiheitliche Bürgertum“ ist in Deutschland bis auf kümmerliche Reste von der politischen Bildfläche verschwunden. Und wenn man sich fragt, wo jene bürgerlichen Freiheitsapostel, die einst stolz und begeistert der Fahne bürgerlicher und politischer Freiheit folgten, jetzt eigentlich ge- blieben sind, dann wird man schnell die Antwort wissen: Der eine Teil hat seine einstige Ãœber- zeugung der Freiheit und der Demokratie ab- geschworen, ist ins Lager des Faschismus ab- geschwenkt; und der andere Teil ist „unpolitisch“ geworden, d.h. er hält sich vorsichtig, mutlos von dem politischen Geschehen der Gegenwart fern, versteckt sich, weil er die Zeit nicht für „opportun“ hält, um seine politische – antifaschistische, liberale – Grund gesinnung zu offenbaren.
     Für uns Juden liegen die Folgen dieser politischen Entwicklung klar zutage. Das freiheitliche Bürger- tum, das früher im Kampf gegen den Anti- semitismus in vorderster Linie stand, ist zu einem Teil dem Antisemitismus verfallen, und zum ande- ren Teil wagt es nicht mehr, seine Stimme gegen Unduldsamkeit, Antisemitismus zu erheben, sein politisches Rückgrat ist gebrochen, fast wider- standslos hat es das politische Kampffeld dem Gegner überlassen.
     Und wie verhalten sich die deutschen Juden, die doch in ihrer überwiegenden Mehrheit, sozial  und politisch gesehen, jenem „freiheitlichen Bürger- tum“ angehörten?
     Dem Faschismus, der ja seiner deutschen Spielart ausgesprochen antisemitischen Charakter trägt, konnten sie sich natürlich nicht in die Arme werfen. Leider aber ist festzustellen, daß ein gewisser Teil der deutschen Juden sich jener zweitgeschilderten Kategorie des freiheitlichen Bürgertums ange- schlossen hat; d.h., daß er mutlos vom politischen Schauplatz abgetreten ist und es ablehnt, in selbst- bewußter Abwehr, geschweige denn in Angriffs- freudigkeit den Kampf für das Gedankengut der Gleichberechtigung und gegen den zersetzenden Antisemitengeist der Unduldsamkeit zu führen. Gewiß – es mag wohl zahlenmäßíg nur ein geringer Teil jüdischer Staatsbürger sein, der sich dem politi- schen Defaitismus der Gegenwart ergeben hat, und der Mangel an Selbstbewußtsein und Kampfes- willen darf keineswegs als spezifisch
jüdische Un- tugend gekennzeichnet werden; das deutsche Bürgertum in seiner Gesamtheit ist politisch zer- mürbt und hat in schwächlichem Kleinmut seine alten Ideale preisgegeben. Trotzdem aber haben wir aufrechten Juden, denen alle Not der Zeit und aller Druck politischer Gegnerschaft niemals den uns angeborenen Optimismus und unser stolzes Selbst- bewußtsein rauben werden, das Recht, ja – wie ich glaube – die Pflicht, jenem kleinmütigen Teil unse- rer Glaubensgenossen das Unheilvolle ihres politi- schen Verhaltens vor Augen zu führen. Wenn wir deutschen Juden im Kampf um unsere Selbst- erhaltung kraftlos die Waffen strecken, wenn wir geneigt sind, dem Antisemitengegner auch nur die geringsten Konzessionen zu machen, dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn es mit der staats- bürgerlichen Gleichberechtigung der deutschen Juden bald vorbei sein wird.
     In meiner polizeilichen Diensttätigkeit habe ich jüngst einen Fall erlebt, der klarer als langatmige theoretische Erörterungen dem Leser zeigen dürfte, wie in einzelnen jüdischen Köpfen jedes Gefühl für Selbstbewusstsein erstickt zu sein scheint, wie politische Leise- treterei, besser gesagt: politische Würdelosigkeit, bei gewissen Juden zu beobachten ist.

     Am 12. Mai war ich als geschäftsführender Polizei- präsident von Berlin (Polizeipräsident Grzesinski befand sich auf Urlaub) genötigt, im Deutschen Reichstag eine Polizeiaktion gegen nationalsozia- listische Reichstagsabgeordnete zu leiten.[1] Wie erklärlich, waren die nationalsozialistische Öffent- lichkeit und ihr antisemitischer Anhang wenig erfreut darüber, daß ein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens [2] jene Zwangsaktion durch- führte. Von Partei und Weltanschauung wegen bekämpfen die National-sozialisten jede „jüdische Beeinflussung des Staatsapparates“, sie wollen deutsche Juden in der Staatsverwaltung überhaupt keine Ämter eingeräumt wissen und empfinden es daher als ein besonders kränkendes Zeichen ihrer politischen Ohnmacht, wenn ein Staatsbürger jüdischen Glaubens an der Spitze der Polizei steht und in dieser Eigenschaft den Staatswillen gegen- über widerstrebenden Nationalsozialisten zur Geltung bringt. Ich habe infolgedessen volles Ver- ständnis dafür, wenn Amtsmaßnahmen, die ich gegen Nationalsozialisten treffe, zu Kundgebungen des Missfallens im Lager der grundsätzlichen Juden- gegner führen. Und ich nehme ihnen ihre „Gegen- aktionen“ – gleichviel, ob sie in geistvollen „Isidor“-Rufen [3], in der Ãœbersendung lieblicher Schmäh- und Drohbriefe oder in gehässigen Zeitungs- polemiken bestehen – nicht im mindesten übel. Jene Gegenaktionen, so geschmacklos sie auch im Einzelfall sein mögen, sind Äußerungen politischer Gegnerschaft, mit denen die Herren Nationalsozia- listen es sich anderseits gefallen lassen müssen, daß ich ihnen – wie allen Staatsbürgern – gegenüber meine Amtspflicht auf dem mir übertragenen Posten erfülle, gleichviel, ob dem Gegner meine Rasse und meine Person gefällt oder nicht. Nicht das mindeste Verständnis aber vermag ich dafür aufzubringen, wenn nach jener Polizeiaktion im Deutschen Reichstag auch gewisse deutsche Juden mich wegen der Leitung dieser Polizei- aktion angreifen und die Ansicht vertreten: gerade weil ich Jude sei, hätte ich mich von jener Aktion gegen die Nationalsozialisten fernhalten müssen… Tatsächlich sind einzelne solcher Stimmen im jüdischen Lager laut geworden. So gab mir der dem Judentum angehörige Redakteur einer Berliner Zeitung, die bisher als demokratisch galt und nach dem Vorgehen im Reichstag in unmißverständlichen Worten meine Absetzung gefordert hatte, auch mein Befragen unumwunden zu: als Jude hätte ich die Polizeiaktion im Reichstag nicht durchführen dürfen. Und jener Herr erging sich mir gegenüber dann weiter in den Worten: „In Zeiten wie den jetzigen muß ein Jude alles vermeiden, was ihn in Kollision mit den Nationalsozialisten bringen kann.“ (Ich zitiere Wort für Wort, wie ich es mir während der telephonischen Unterhaltung aufgeschrieben habe.) Was ich jenem Herrn zur Antwort gab, will ich an dieser Stelle nur zum Teil wiedergeben. Ich sagte dem Herrn, daß es für mich mit einer Auf- fassung, wie er sie mir gegenüber zum Ausdruck gebracht habe, kein Paktieren, keine Verständigung gäbe.

Bundesarchiv_Bild_102-10213,_Bernhard_Weiß

Ich glaube, jeder Leser wird für das Typische dieses Einzelfalles Verständnis haben. Die Auffassung des erwähnten Redakteurs folgerichtig zu Ende ge- dacht, muß alle Errungenschaft der schwer er- kämpften JudenEmanzipation zunichte machen, führt letzten Endes in ein politisches Ghetto zurück. Jahrhundertelang haben die besten Deutschen – Christen wie Juden – dafür gekämpft, daß den deutschen Staatsbürgern jüdischen Glaubens die staatsbürgerliche Gleichberechtigung zuteil werde, daß ihnen alle Berufe, alle Staatsstellen wie jedem anderen Staatsbürger geöffnet würden. Das Ziel ist zum wesentlichen Teil erreicht. Mir selbst war es (schon vor der Staatsumwälzung) [4] gegeben, als erster Jude in die bis dahin judenreine preußische Verwaltung Eingang zu finden; nicht aus eigner Initiative, sondern gerufen vom letzten „könig- lichen“ Innenminister, trat ich in die Berliner Polizei- verwaltung ein. Das Vertrauen meiner Vorgesetz- ten berief mich zu den verschiedensten Stellungen innerhalb der Polizei. Mehr als vier Jahre (1920 bis 1924) war ich als spezieller Leiter der sogenannten politischen Polizei tätig und traf hier wiederholt die einschneidendsten Maßnahmen gegen rechts- radikale Antisemitengruppen. Damals fand sich nie- mals ein Jude, geschweige denn eine demokrati- sche Zeitung, die den Standpunkt vertrat: weil ich Jude sei, dürfe ich solche Maßnahmen nicht treffen. Jetzt aber – im Jahre 1932 –, da heißt es plötzlich: der Jude muß sich zurückhalten. Machen die Ver- treter solcher schwächlichen Auffassung sich denn nicht klar, daß ihr Gedankengang letzten Endes im Argumenten-Arsenal des Antisemitismus endet?...  Ein in Beamtenstellung stehender Jude darf nach dieser Auffassung also die Pflichten seines Amtes nicht erfüllen, wenn er sich hierbei im Einzelfalle gegen grundsätzliche Judengegner wenden muß. Die natürliche Folge: kein Jude darf eine Staatsstellung bekleiden, die ihn in „Kollisionen“ mit Judengegner führen könnte; mit anderen Worten: kein Jude darf Verwaltungs-beamter, darf Richter oder ein ähnliches Organ des Staatswillens werden. Gibt es aber auf dieser politischen Linie überhaupt ein Halten? Haben die Judengegner nicht durchaus recht, wenn sie in folgerichtiger Durchführung ihres judenfeindlichen Standpunktes dann auch andere Berufe für die Juden sperren wollen? Jenen Zeitungsredakteur, von dem ich vorher sprach, darf ich freundlichst auf § 23 der Grundforderungen des nationalsozialisti-schen Parteiprogramms hinweisen. Dort heißt es: „Sämtliche Schriftleiter und Mitarbeiter von Zeitungen, die in deutscher Sprache erscheinen, müssen Volksgenossen sein.“ Wenn es dem ge-nannten Redakteur daher nicht recht ist, daß ich künftighin als Polizeichef meines Amtes walte, und wenn der in seiner Zeitung gegen mich gerichtete Angriff natürlich den jubelnden Beifall der anti-semitischen Presse gefunden hat, so darf er sich über eines nicht hinwegtäuschen: wenn das nationalsozialistische Programm einst verwirklicht werden sollte, dann wird nicht nur der Polizei- präsident Weiß von seinem Posten verschwinden, sondern er, der deutsche Zeitungsredakteur jüdi- schen Glaubens, wird sich nicht minder nach einem neuen Beruf umsehen müssen.

Ich komme zum Schluß. Die Zeiten sehen für uns Juden gewiß nicht rosig aus. Eine Welle des Anti- semitismus hat sich über unser deutsches Vaterland ergossen, von der wohl kein einziger Jude ver- schont bleibt. Nichts Unwürdigeres und Erbärm- licheres aber gibt es solcher Lage, als schwächlich und mutlos den Kampf aufzugeben, uns juden- gegnerische Argumente des Gegners auch nur im Kompromißwege zu eigen zu machen und hiermit dem Gegner freie Bahn zu schaffen zur Verwirk- lichung seiner letzten Forderungen. Je mehr man uns angreift, desto lebendiger und kraftvoller wollen wir aufrechten, selbst- bewußten deutschen Staatsbürger jüdischen Glaubens uns zur Wehr setzen, vor allem aber– allen Gegnern zum Trotze – sachlich und unerschrocken für das Wohl der Volksgesamtheit unsere Pflicht erfüllen, jeder an dem Platze, an den das Schicksal ihn gestellt hat.

Der Polizei-Vizepräsident Dr. [Bernhard] Weiss 50 Jahre alt! [30. Juli 1930]
Porträtaufnahme des Berliner Vize- Polizeipräsidenten Dr. Weiss.

Deutsches Bundesarchiv (German Federal Archive), Bild 102-10213

Wikimedia Commons

 

Rechtschreibung des Originals.

Ein Scan des Originals befindet sich in der Sammlung Compact Memory (>CV-Zeitzung >1932 >Heft 23).

Anmerkungen zum Text:

[1] Verhaftung von Reichstagsabgeordneten der NSDAP wegen Körperverletzung. “Am 12. Mai 1932 marschierte er mit einem Polizeitrupp im Reichstag ein,  um prügelnde Nazis festzunehmen, von Goebbels begrüßt mit dem Satz: "Da  kommt das jüdische Schwein, der Weiß, hier herein und provoziert uns  durch seine Anwesenheit." Dietz Bering, “Der Fall ‘Isidor’”, in: Welt Online, 28.7.2001 - hier. - Siehe dazu auch unten.

[2] “deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens” = Selbstverständnis und offizielle Bezeichnung der im Central-Verein organisierten deutschen Juden. - siehe dazu auch unten.

[3] Isidor war die Bezeichnung für Weiß in Goebbels Zeitung Der Angriff; gegen Goebbels als Gauleiter der NSDAP von Berlin und Verantwortlichen für die Zeitung gewann Weiß seit 1927 zahlreiche Prozesse .

[4] “Staatsumwälzung”: Gemeint ist die Revolution 1918/19 und die Gründung der Weimarer Republik.

W. Geiger

Weitere Infos und LInks zu Bernhard Weiß:

Der Beitrag auf Wikipedia gibt einen knappen biographischen Ãœberblick, aber mit weiteren Hinweisen und Links: hier.

Siehe auch Online-Artikel der Welt, des Spiegel, der Zeit.

Gedenktafeln für Bernhard Weiß in Berlin: hier.

Zwei Bücher über B. Weiß seien hier genannt:

Dietz Bering: Kampf um Namen. Bernhard Weiß gegen Joseph Goebbels. Stuttgart (Klett-Cotta) 1991.

Joachim Rott: “Ich gehe meinen Weg ungeindert geradeaus” - D. Bernhard Weiß (1880-1951) Polizeivizepräsident in Berlin. Leben und Wirken, Berlin (Frank & Timme) 2010.

Den Beginn der juristischen Auseinandersetzungen zwischen Weiß und der Berliner NSDAP unter Goebbels hat Dietz Bering eindrucksvoll beschrieben in:

Diez Bering: “Von der Notwendigkeit politischer Beleidigungsprozesse - Der Beginn der Auseinandersetzungen zwischen Polizeivizepräsident Bernard weiß und der NSDAP”, in: Walter Grab / Julius H. Schoeps (Hg.): Juden in der Weimarer Republik. Skizzen und Porträts, Darmstadt (WBG) 1998, S.305-346.

Bering geht darin auch auf die “auf dem linken Auge blinde” Weimarer Justiz ein und macht deutlich, dass es in den Zwanziger- jahren einen durchaus partiell erfolgreichen Kampf innerhalb von Justiz und Politik gegen diese Rechtslastigkeit ab, an dem Bernhard Weiß einen wichtigen Anteil hatte.

Die Polizeiaktion vom 12. Mai 1932 war vom Reichstagspräsidenten Paul Löbe (SPD) eingeleitet worden, wie Joachim Rott berichtet:

Am 12. Mai 1932 sah sich Reichstagspräsident Paul Löbe gezwungen, die Plenarverhandlungen des Reichtstages zu unterbrechen und folgende Mitteilung zu machen:
     “Mit wird mitgeteilt, dass von Abgeordneten und Nichtbgeordneten des Hauses ein Gast, ein Journalist, im Restaurant des Reichstages überfalen und in der Wandelhalle blutig geschlagen worden ist. Ich habe Anweisung gegeben, dass die Kriminalpolizei die zu ermittelnden Täter, ganz gleich, ob sie dem Hause angehören oder nicht, festnimmt.”
     Hintergrund dieser Mitteilung war ein tätlicher Angriff auf Helmuth Klotz. Mehrere nationalsozialistische Reichstagsabgeordnete hatten den früheren Nationalsozialisten, inzwischen der SPD angehörenden Publizisten im Reichstagsrestaurant, wo er sich zu einer vereinbarten Unterredung mit dem SPD-Abgeordneten Otto Wels aufhielt, zusammengeschlagen. Der Herausgeber der “Antifaschistischen Presse-Korrespondenz” hatte sich wegen der Veröffentlichung von Briefen Röhms, die die Homosexualität des SA-Stabschefs bestätigten, den besonderen Hass der Nationalsozialisten zugezogen.

J. Rott, s.o., S.88.

 

Links zu Seiten über den Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens auf der Startseite zur Epoche 1914-1933direkt dorthin: hier.

 

Zur Endphase der Weimarer Republik und zum Ermächtigungsgesetz siehe auch auf
 www.geschichtslehrerforum.de - direkt dorthin: hier.

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