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Verband der Geschichtslehrerinnen und -lehrer


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Stichworte zur jüdischen Geschichte

Übersicht:

Die Stichworte sind grob chronologisch nach ihren Themen aufgelistet. Der erste Teil der Stichworte folgt dann hier im Anschluss, die anderen sind auf weiteren, angeschlossenen Seiten eingestellt. Das Ganze ist noch im Aufbau...

SchUM-Gemeinden

Geld, Geldverleiher

Der Fettmilchaufstand

►Joseph Süß

►Aufklärung

►Befreiungskriege

►Ludwig Börne

►Emanzipation

►Akkulturation

►Centralverein

 

►Ostjuden

►Zionismus

►Judenzählung

►Kriegsende 1918

►Fußball

►Oskar Schindler

►Shanghai

►Jeckes

Deutsch-israelische diplomatische Beziehungen


SchUM-Gemeinden

SchUM ist eine Abkürzung, die sich aus den Anfangsbuchstaben der hebräischen Ortsnamen dreier Städte am Rhein zusammensetzt: Schin für Schpira (Speyer), Vav für Warmaisa (Worms), wobei hier das V wie ein U gelesen wird, und Mem für Magenza  (Mainz). Die jüdischen Gemeinden in diesen drei Städten gehörten zu frühen Niederlassungen im deutschen Raum. Sie entwickelten sich im 11. und 12. Jahrhundert zu Zentren jüdischer Gelehrsamkeit. Hebräische und jiddische Quellen geben über die Bedeutung der SchUM-Gemeinden als „Wiege der Gelehrsamkeit“ in Aschkenas Auskunft. Im Mittelalter wurde Aschkenas, ein Name aus der hebräischen Bibel, als Bezeichnung für Deutschland verwendet.

Ob es eine kontinuierliche jüdische Siedlung seit der Spätantike am Rhein gegeben hat, wird kontrovers diskutiert. Die erste schriftliche Erwähnung einer Mainzer jüdischen Gemeinde stammt aus dem Jahr 917. Der früheste Beleg einer Synagoge stammt aus Worms aus dem Jahr 1034, für Mainz ist eine Synagoge 1093 belegt, in Speyer entstand zwischen 1084 und 1096 eine Synagoge. Für alle drei Gemeinden ist ebenfalls ein Tanzhaus belegt. Es diente jeweils als Versammlungsort für die Feste der Gemeinde, aber auch für die Feiern einzelner Gemeindemitglieder.

SchUM-Städte e.V.:
Website
Video

Zu den mittelalterlichen jüdischen Gemeinden in Worms und Speyer vgl. auch auf unserer Seite Mittelalter 3

 

Alle drei Gemeinden besaßen einen Friedhof. „Der Heilige Sand“ in Worms konnte als einziger der mittelalterlichen jüdischen Friedhöfe seinen ursprünglichen Charakter bis heute bewahren. Auf seinem Gelände stehen heute noch ca. 2500 Grabsteine aus dem 11.-20. Jahrhundert. Er gilt als ältester jüdischer Friedhof in Europa. Der älteste datierte Grabstein stammt von 1076. Der Legende nach lebten schon 600 Jahre v. Chr. Juden in Worms. Ihre Totenstätte soll mit Sand aus Jerusalem bestreut worden sein, daher der Name des Friedhofs. Das Gelände des jüdischen Friedhofs in Speyer wurde 1084 den Juden von Bischof Rüdiger geschenkt.

Jüdischer-friedhof-worms

Alter Jüdischer Friedhof “Heiliger Sand” in Worms  (Stefan Noack) Wikipedia

Die rechtliche Stellung der Juden in diesen Städten war wesentlich besser als die der meisten christlichen Einwohner. Bischof Rüdiger unterzeichnete eine Urkunde von 1084, in der er festhielt, dass er den Juden „ein Gesetz, das besser ist, als es das jüdische Volk in irgendeiner anderen Stadt des Deutschen Reiches besitzt“ gewährt habe. Die Eigenständigkeit jüdischer Gemeinden wird auch deutlich in der ausgestellten Urkunde Kaiser Heinrichs IV.  aus dem Jahr 1074, wo von „Juden und Wormsern“ die Rede ist.

Alle drei Städte waren christliche Kathedralstädte, zugleich war die Zahl der niedergelassenen Juden so groß, dass sie frühzeitig Gemeinden bilden konnten. Diese sind nicht nur als Kultusgemeinden zu verstehen, sondern auch als eigenständige Körperschaften innerhalb der Städte. Mit ihren Einrichtungen und Organen waren sie den sich erst allmählich entwickelnden städtischen Eigenverwaltungen voraus. In allen drei SchUM-Gemeinden gab es ein Ratsgremium, das zumeist aus zwölf Mitgliedern bestand. Aus den Mitgliedern dieses Rates wurde in der Regel das Richtergremium gebildet, das über die innerjüdischen Rechtsfälle entschied.

Warmaisa - Das jüdische Worms

Jüdisches Erbe Speyer

Mainz - Magenza, ein mittelalterlihes Zentrum jüdischer Kujltur

Die SchUM-Gemeinden unterhielten zeitweise auch Talmudschulen zur theologischen Weiterbildung. Von weit her kamen Studierende. Dabei entwickelten sich Dynastien von Gelehrten, wie beispielsweise die in allen drei Städten vertretene Familie der Kalonymiden. Den SCHUM-Gemeinden wurde auf der Rabbinersynode von Troyes 1156 das Richteramt über die aschkenasischen Gemeinden übertragen. Dies wurde von der aschkenasischen Rabbinerversammlung im gleichen Jahr bestätigt und 1220 sowie 1223 erneuert und erweitert.

Bis heute ist der Talmudkommentator des Rabbi Salomon ben Issak, genannt Raschi in der jüdischen Welt hoch geschätzt. Um 1060 studierte der Gelehrte im Lehrhaus in Worms. Das nach ihm benannte Raschi-Haus in Worms beherbergt heute das Jüdische Museum und das Stadtarchiv. Als 1475 das erste in hebräischer Schrift gedruckte Buch in Kalabrien erschien, stammte der Text von Raschi.

Worms_Synagoge

Alte Synagoge in Worms (“Raschi-Synagoge”), Foto: W. Geiger

Während des Ersten Kreuzzuges 1096 war die Zahl der Opfer beträchtlich. In Mainz wurden mindestens 500 namentlich bekannte Personen umgebracht, in Worms 400. In Speyer hingegen handelte Bischof Johann entschlossen und rettete die meisten Juden. Lediglich elf Personen sollen getötet worden sein. Mit den Pestpogromen 1348/49 ging die Blütezeit der SchUM-Gemeinden zu Ende. Zwar kam es zwischen 1352 und 1357 zu einer recht schnellen Wiederansiedlung. Doch erreichten die Gemeinden nicht mehr die wirtschaftliche und theologische Bedeutung früherer Zeiten. Die Geschichte der jüdischen Gemeinden in Mainz und Speyer endete nach Vertreibungen im 15. Jahrhundert. Allein die jüdische Gemeinde in Worms bestand weiter; bis zum Holocaust lebten Juden kontinuierlich in Worms.

Für 2021 streben die drei Städte die Aufnahme auf die UNESCO-Liste des Weltkultur- und Naturerbes an. In Speyer und Mainz gibt es wieder eine Jüdische Gemeinde. Um die religiösen, kulturellen und sozialen Belange der Wormser Gemeindemitglieder kümmert sich gegenwärtig die Jüdische Gemeinde in Mainz.

Literatur:

Die SchUM-Gemeinden Speyer - Worms – Mainz. Auf dem Weg zum Welterbe. Herausgegeben von der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, Regensburg 2013.

Preißler, Matthias: Die SchUM-Städte am Rhein. Speyer (Schpira) – Worms (Warmaisa) – Mainz (Magenza). Regensburg 2012.

Toch, Michael: Die Juden im mittelalterlichen Reich. München 2003; 2. Auflage.

Werner Transier: Die SchUM Gemeinden. Wiegen und Zentren des Judentums am Rhein im Mittelalter. In: Europas Juden im Mittelalter. Ausstellungskatalog Historisches Museum Speyer 2005, S. 59-67.


Geld, Geldverleiher

Das Klischee des „Geldjuden“ ist das am stärksten verankerte Vorurteil gegenüber Juden und wurzelt in einer historisch falschen Vorstellung vom jüdischen Geldverleiher im Mittelalter. Da einerseits die Juden in den Städten aus vielen Berufen ausgeschlossen wurden und andererseits den Christen der Geldverleih gegen Zinsen durch die Kirche verboten war, hätten die Juden darin eine wirtschaftliche Betätigung gefunden und daher faktisch den Geldverleih in der Hand gehabt – so die gängige Vorstellung.

Das Verbot des Wuchers (ursprünglich jeglicher Zins) geht auf die Tora, das Alte Testament, zurück (2. Mose 22, 24) und galt daher zunächst für das Judentum selbst, das Christentum und der Islam übernahmen es gleichermaßen. Dahinter stand der Gedanke der interesselosen Unterstützung des Nächsten, der sich in Not befand, es galt hier sogar das Gebot durch Almosen zu helfen. In einer bäuerlichen Gesellschaft waren alle aufeinander angewiesen und es stellten sich noch keine Fragen der Finanzierung wirtschaftlicher Unternehmungen.

Nach dem Sieg des Christentums im Römischen Reich (392 Staatsreligion) wurden zunächst Zinsen für Kredite in einem bestimmten Umfang toleriert (6%), im Oströmischen und dann Byzantinischen Reich galt dies auch weiter, während sich im katholischen Westen dann die Position der Kirche radikalisierte. Zunächst wurde die Zinsnahme innerhalb der Kirche selbst verboten (Klöster waren oft als Kreditgeber aufgetreten) und ab dem 12. Jh. versuchte die Kirche auch in der Gesellschaft allgemein den „Wucher“ zu unterbinden. Doch die kirchlichen Beschlüsse hatten keine Gesetzeskraft, Wucher war eine Sünde aber keine Straftat, es drohte allenfalls der Kirchenbann. Dem konnten christliche Geldverleiher entgehen, indem sie ihre Zinsen geschickt vertuschten. Wie dies auf den Handelsmessen geschah, ist überliefert (siehe Literaturhinweise auf einer anderen Seite). Tatsächlich wurde das „katholische Zinsverbot“ in der Realität kaum befolgt.

Die Gründung der Zünfte als christliche Schwurgemeinschaften im 12. und 13. Jh. schloss Juden aus diesen zunftmäßig organisierten Handwerksberufen aus, jedoch nicht aus den anderen, es blieben zudem Berufe wie der des Arztes sowie der Bereich des Handels, darunter auch Geldwechsel und Geldverleih. Doch weder waren alle Juden Geldverleiher, noch waren alle Geldverleiher Juden. Vielmehr traten sich Christen und Juden als Konkurrenten im Bankgeschäft gegenüber. Führend darin wurden die italienischen Bankiers, die sog. Lombarden (weil ursprünglich aus der Lombardei, v.a. aus Mailand, stammend).

Kipper_und_Wipper

„Kipper und Wipper“ zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Christliche und jüdische Geldwechsler und Münzmeister verschlechtern das Geld im Auftrag ihres Fürsten. Zeitgenössische Darstellung. Wikimedia Commons.

Dies schloss nicht aus, dass auch einige jüdische Familien große Geschäfte im Bankwesen machen konnten. In der Frühen Neuzeit wurden jüdische Händler und Bankiers oft an Fürstenhöfe geholt als sog. Hoffaktoren und in den Zeiten der Konfessionskriege im 16. Und 17. Jh. zu geschätzten neutralen Vermittlern, die katholischen Fürsten, z.B. den Habsburgern, Geld von Protestanten, z.B. aus den Niederlanden, besorgten (und umgekehrt). Gegen Ende des 18. Jh.s konkurrierten zwei Bankiers aus Frankfurt am Main, ein christlicher (Bethmann) und ein jüdischer (Rothschild) um den Posten des kaiserlichen Hoffaktors in Wien und lösten dort einander ab. Aus Konkurrenten wurden dann Geschäftspartner: Später taten sich beide Bankhäuser nämlich zusammen und gründeten gemeinsam mit anderen die Frankfurter Bank.


Der Fettmilchaufstand

Im Laufe des 16. Jahrhundert hatte sich das Frankfurter Patriziat zu einer frühabsolutistischen Obrigkeit entwickelt und die Zünfte sowie große Teile der Bürgerschaft von der politischen Macht ausgeschlossen. Dieser Zündstoff explodierte im Fettmilchaufstand.

Während im 15. Jahrhundert fast alle größeren Städte und viele Territorien ihre Juden auswiesen, bildete die Judengasse in Frankfurt neben Worms und Friedberg einen Zuwanderungsort. Im Laufe von weniger als 100 Jahren, zwischen 1462 und 1556, vermehrte sich die jüdische Bevölkerung der Stadt am Main um das Fünffache, in den fünfzig Jahren danach nochmals um mehr als diese Rate. 1462 lebten in Frankfurt etwa 100 Juden. Sie machten etwa 1% der Bevölkerung aus. 1610 waren es an die 2700, andere Historiker sprechen gar von 3000 Juden. Dies entspräche gut 15% der Gesamtbevölkerung, eine Zahl, die keine andere deutsche Stadt während dieser Zeit aufweisen konnte.

 Im Frühjahr 1612 konfrontierten unzufriedene Bürger den vom Patriziat dominierten Stadtrat mit der Forderung nach Veröffentlichung seiner Privilegien, der Errichtung eines öffentlichen Kornmarkts zur Regelung der Getreidepreise und der Begrenzung der Anzahl der jüdischen Einwohner Frankfurts. Ein erster Einigungsversuch in Form des sogenannten Bürgervertrages hatte nur kurze Zeit Bestand. Die aufständischen Zünfte und ihr Wortführer, der Lebkuchenbäcker Vinzenz Fettmilch, warfen dem Stadtrat Misswirtschaft und ein Komplott mit den Juden vor. Fettmilch hatte sich 1602 in der Töngesgasse niedergelassen und war Mitglied der Fettkrämerzunft.

Zu den Unterstützern des Aufstandes gehörten auch die in die Stadt geflohenen niederländischen Calvinisten. Ihnen hatte der Rat der Stadt den Aufenthalt in Frankfurt zu verleiden versucht, indem er ihnen die Errichtung eines Gotteshauses nicht gestattete. So klagten die Calvinisten, dass sie schlechter als die Juden behandelt würden, denen man den Bau und den Besitz von Synagogen zugestehe.

Die Ereignisse eskalierten, als im Juli 1614 ein kaiserliches Mandat die Bürger aufforderte, sich öffentlich, mit Nennung ihres Namens, von der Sache der Aufständischen loszusagen, andernfalls drohe ihnen die Reichsacht und der Vermögenseinzug.  Am 22. August 1614 mündete der Aufruhr in offene Gewalt gegen die Juden. Einige jüdische Familien flohen beim ersten Ansturm in die Häuser befreundeter Christen, der weitaus größere Teil der Juden blieb zurück. Die Männer verteidigten die Judengasse mehrere Stunden lang, indem sie  hinter den drei Toren Barrikaden aus Fässern, Bänken und Steinen errichteten, Frauen und Kinder flohen auf den benachbarten Friedhof. Nach einem mehrstündigen Kampf überlisteten die Angreifer die Juden, drangen in die Gasse ein und plünderten die Häuser. Als die Ausschreitungen in andere Teile der Stadt überzugreifen drohten, wurde die Plünderung der Gasse nach 13 Stunden durch bewaffnete Bürger beendet.

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Die Plünderung der Frankfurter Judengasse während des Fettmilch-Aufstands. Stich von Matthias Merian, 1628, Wikipedia

Zur Aufrechterhaltung der Ordnung stellte die Stadt acht Musketiere vor die Judengasse. Die Juden mussten am folgenden Tag die Stadt verlassen. Für den Rest ihrer Habe, die sie mit sich führten, mussten sie einen Ausfuhrzoll zahlen.

Der Kaiser verfügte als Reaktion gegen Vinzenz Fettmilch und die weiteren Anführer des Aufstandes die Reichsacht, dennoch wagte zunächst keines der Ratsmitglieder, das Ächtungsdekret öffentlich anzuschlagen oder zu vollstrecken.  Erst Ende November 1614 wurde  Vinzenz Fettmilch verhaftet und ihm der Prozess gemacht.  Auf dem Rossmarkt wurden Vinzenz Fettmilch und sechs Gefolgsleute  vor der versammelten Bürgerschaft 1616 enthauptet.  Nach der Vollstreckung wurde ein kaiserliches Schreiben verlesen, laut dem „die Juden mit Weib und Kind wieder in ihre Gasse aufgenommen, alle ihre Häuser repariert, auch alles spoliierte Silber, Gold und Geschmeide ihnen innerhalb dreier Monate wieder zugestellt, und sie fortan bei Strafe der Acht nicht mehr molestiert werden sollten“.  Nur Stunden später kehrte die jüdische Gemeinde durch das Gallustor in die Stadt zurück. Die Familien zogen über die Zeil zur Judengasse, eskortiert von Fahnenträgern und berittenen Soldaten.  Auf jedem der drei Tore der Judengasse wurde ein großes Schild mit dem kaiserlichen Adler und der Aufschrift „Röm. Kays. Maj. und des h. Reiches Schutz“ angebracht.

Nach der Niederschlagung des Aufstandes erarbeiteten kaiserliche Kommissare eine neue Judenordnung, die bis 1808 in Kraft blieb. Sie garantierte einerseits ein unbegrenztes Wohnrecht und hob damit die bisherige Beschränkung auf drei Jahre auf; andererseits schrieb sie die Zahl der in Frankfurt ansässigen Juden auf den bis dahin erreichten Stand von 500 Familien fest. Für die Frankfurter Juden bestand nun eine deutlich verbesserte Rechtssicherheit.

An den Fettmilchaufstand erinnerten noch viele Jahrzehnte die Köpfe der enthaupteten Rädelsführer: Zur Abschreckung von Nachfolgetätern hatte man sie gut sichtbar am Brückenturm aufgespießt – für jeden jüdischen Besucher ein Monument der Gerechtigkeit. So schrieb der Reisende Abraham Levie um 1750:   „Es ist bei der Brücke noch ein Eisen mit vier Spitzen zu sehen. Darauf befinden sich vier Totenköpfe. Sie sind von … Vinz Hans und drei seiner Ratgeber, welche die Juden unrechtmäßig vertreiben, ja sogar erschlagen wollten. Es hat sich aber gegen sie selbst gewendet.“ Erst 1801 wurden der Brückenturm abgerissen und die Köpfe der Verurteilten beseitigt. Außerdem wurde das Haus des Fettmilch eingerissen und auf dem Grundstück eine Schandsäule errichtet, die bis ins 19 Jahrhundert stehen blieb.

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Hinrichtung von Vincent Fettmilch, Konrad Gerngroß, Konrad Schopp und  Georg Ebel am 28. Februar 1616 auf dem Frankfurter Roßmarkt, Wikipedia
Holzschnitt aus einem zeitgenössischen Flugblatt von Johann Ludwig Schimmel, Institut für Stadtgeschichte Frankfurt a.M.

Vgl. auch ein anderes Bild auf einem Flugblatt mit Text, Bildarchiv Philipps-Universität Marburg

In jüdischen Familien wurde die Erinnerung an die Ereignisse des Jahres 1614 noch sehr lange Zeit bewahrt. Es ist überliefert, dass jüdische Eltern ihre Kinder noch  Ende des 18. Jahrhunderts an die Hand nahmen, um ihnen in der Stadt die Erinnerungsstätten des Fettmilchaufstandes zu zeigen. Der  Tag der Rückkehr - der 28. Februar oder der 19. Adar nach jüdischem Kalender -  galt in der Jüdischen Gemeinde Frankfurt fortan als Festtag, den man – in  Anlehnung an das Purim Fest - als Purim Vinz feierte. Bei dem Fest wurde das eigens komponierte  Vinz-Hans-Lied gesungen. Eine Vertonung des Liedes ist in der neuen Dauerausstellung im Museum Judengasse zu hören.

 

Literatur:

Robert Brandt: Der Fettmilch-Aufstand: Bürgerunruhen und Judenfeindschaft in Frankfurt am Main 1612-1616. Ein Ausstellungsprojekt des Historischen Museums Frankfurt in Zusammenarbeit mit dem Historischen Seminar der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität. Frankfurt a.M. (Historisches Museum) 1996.

Die Frankfurter Judengasse. Katalog zur Dauerausstellung des Jüdischen Museums Frankfurt. Herausgegeben von Fritz Backhaus, Raphael Groß, Sabine Kößling und Mirjam Wenzel. Frankfurt am Main 2016.

Isidor Kracauer: Geschichte der Juden in Frankfurt. 2 Bände. Frankfurt am Main 1925. (>Archiv UB Marburg)

Ders., Geschichte der Judengasse in Frankfurt am Main. Frankfurt a.M. 1906.

 

Bildunterschrift:

Hinrichtung Vinzenz Fettmilchs und seiner Genossen und Rückführung der Frankfurter Juden 1616. Holzschnitt aus einem zeitgenössischen Flugblatt von Johann Ludwig Schimmel

 

 

Joseph Süß

Das Leben und Wirken von Joseph Süß Oppenheimer (1698-1738) verschwindet auch heute noch hinter dem Zerrbild des „Jud Süß“, der reale Mensch hinter dem Todesurteil, selbst in gut gemeinten Verurteilungen des Antisemitismus, in Ausstellungen und Museen. Dabei bietet seine Lebensgeschichte nicht nur einen guten Einblick in die Situation von Juden vor der Emanzipation, sondern auch eine hervorragende Möglichkeit, die Zusammenhänge zwischen Geld, Wirtschaft und Politik in der Zeit des  Absolutismus zu erkennen.

Joseph Süß wurde 1698 in Heidelberg geboren, seine Mutter war Frankfurterin und zog nach dem Tod ihres Mannes wieder dahin zurück. In Frankfurt war auch  seit dem 16. Jh. der Zweig väterlichen Linie der Oppenheimers ansässig, aus denen Samuel Oppenheimer hervorging, der berühmte Wiener Hoffaktor.

Nach Diensten für den pfälzischen Kurfürsten in Mannheim seit 1722 arbeitete Joseph Süß als Hoffaktor für den Landgrafen von Hessen-Darmstadt seit 1730 und für den Herzog von Württemberg ab 1733. Seine Dienste wurden in Anspruch genommen für die Vermittlung von Krediten, für die Beschaffung von Gold für die Münzprägung und von Luxusgütern für die fürstlichen Herrschaften.

In Frankfurt arbeitete Süß mit christlichen Frankfurter Geldgebern zusammen, der Familie Wahler (Johann Georg und Johann Carl, Vater und Sohn), die, nicht zum Frankfurter Patriziat gehörend, ebenfalls nach oben strebten und von Süß für die Goldankäufe des Darmstädter Münzgeschäfts und deren Vorfinanzierung einbezogen wurden. Aufgrund der dabei zu Beginn gleich auftretenden Schwierigkeiten gerieten die Wahlers selbst in Geldnot, weswegen sie zur Überbrückung ihrer eigenen Liquiditätsprobleme wiederum Kredit bei dem berühmten Frankfurter Bankhaus d’Orville aufnahmen, einer calvinistischen Familie wallonischer Herkunft. Dies ist ein anschauliches Beispiel für eine Finanzierungskette, die von den Fürsten als Auftraggeber über den jüdischen Hoffaktor tief in die christliche Finanz-und Geschäftswelt hineinreichte und von dort an den Amsterdamer Kredit- und Goldmarkt. Die allgemeine Vorstellung vom jüdischen Hoffaktor sieht diesen jedoch als quasi alleine agierenden „Geldgeber der Fürsten“ und meint damit, er selbst habe die fraglichen Summen besessen und verliehen, was letztlich das Klischee des „Geldjuden“ bestätigt.

Joseph Süß‘ Tätigkeiten für die Fürsten brachten ihm in den Jahren durchaus einen stattlichen Gewinn ein, der ihn ein Unternehmen mit mehreren Angestellten, eine angemessene Residenz in Frankfurt außerhalb des Ghettos sowie in Stuttgart, wo eigentlich Residenzverbot für Juden herrschte, und in Ludwigsburg ermöglichte und insgesamt einen Lebenswandel, der ihn von der Befreiung aus der Benachteiligung als Jude und sogar von der Nobilitierung träumen ließ. Tatsächlich aber waren für ihn alle Geschäfte für die Fürsten stets auch eine Gratwanderung am Rande des Bankrotts, denn er musste sein Vermögen, darunter Immobilien in Heidelberg und Mannheim – wo übrigens der Ghettozwang aufgehoben war –, immer wieder als Garantie für die fürstlichen Kreditaufnahmen einsetzen.

Beim Herzog von Württemberg setzte sich Süß nicht nur für die Befriedigung von dessen Luxusbefürfnissen sondern auch für die Reduzierung der Schuldenaufnahme ein, ihm schwebte gar eine „Schwarze Null“ vor und mehr noch: ein Haushalt, in dem die Einnahmen die Ausgaben überstiegen. Viele der dafür vorgesehenen Maßnahmen waren revolutionär, z.B. die Abschaffung von Steuerprivilegien: eine fünfprozentige Lohnsteuer für die Beamten und eine allgemeine Einkommenssteuer. Das meiste davon konnte Süß in der kurzen Zeit bis zum plötzlichen Tod des Herzogs Karl (damals Carl) Alexander 1737 nicht realisieren, schaffte sich aber dafür Feinde am Hof sowie in den Reihen der Landstände (Vertreter der Städte und Gemeinden), die auf ihrem politischen Recht der Steuerbewilligung und ihrem privaten Recht des Steuerprivilegs beharrten. Doch alleine durch die Effektivierung des herzoglichen Finanzwesens konnte Süß als „geheimer Finanzien-Rath“ im letzten Jahr seiner Tätigkeit 300.000 Gulden einsparen, die der Herzog allerdings nur für weitere Luxusausgaben verprasste.

Joseph Süß sah ein böses Ende voraus: Sein Vorgänger war beim vorherigen Herzog im Ungnade gefallen und inhaftiert worden, Süß hatte ihn auslösen müssen, anderen jüdischen Faktoren an verschiedenen Höfen ging es ähnlich. Mehrfach ersuchte Süß den Herzog um seine Entlassung, dieser ließ ihn jedoch nicht gehen und drohte ihm bei Flucht Verhaftung an.

 Noch am Tag des Todes Karl Alexanders wurde Süß stellten sich die Beamten, mit denen er zusammengearbeitet hatte, gegen ihn, er wurde verhaftet und zahlreicher Straftaten angeklagt: Münzfälschung, Bereicherung aus der Staatskasse, Amtsanmaßung… –  doch dies alles musste selbst in dem nicht rechtsstaatlichen Prozess fallen gelassen werden, übrig blieben nur allgemeine „schädliche consilia [Ratschläge, Empfehlungen] wider Herrn und Land“ und vor allem die nach damaligem Recht widerrechtliche Beziehung zu einer Christin, Luciana Fischer.

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Verunglimpfende Darstellung des Joseph Süß Oppenheimer mit Galgen als  Emblem in der unteren Bildmitte, Über folgenden hämischen Zeilen: (Kupferstich von 1738) Wikipedia

“Haman” im Text ist eine Anspielung auf eine biblische Sage.

Am 4.2.1738 wurde Joseph Süß in Stuttgart auf eine Weise hingerichtet, die mit dafür sorgte, dass in der Nachwelt der Tod sein Leben überschattete: Er wurde hoch in der Luft in einem Käfig erhenkt, die Leiche wurde dort sechs Jahre lang hängen gelassen.

Die Öffentlichkeit interessierte sich für Joseph Süß Oppenheimer erst, nachdem er im März 1737 zum “Fall” wurde nach dem Tod des Herzogs Karl Alexander von Württemberg. Daher gibt es nur bildliche Darstellungen aus der Zeit des Prozesses. Dieses Bild auf einem Flugblatt gilt trotz des diffamierenden Kontexts - “Wer großer Herren Gunst misbraucht...” - noch als die neutralste Porträtierung. Das kleine Abbild unten zeigt den Käfig am Galgen, womit die Darstellung auf den Zeitpunkt nach dem Urteil datiert werden kann.

http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Flugblatt3_Joseph_S%C3%BC%C3%9F_Oppenheimer_copy.jpg

 

 

Literatur und Links:

 

Hellmut G. Haasis: Joseph Süß Oppenheimer genannt Jud Süß. Finanzier, Freidenker, Justizopfer. Reinbek (Rowohlt), 1998.

Wolfgang Geiger:

- „Schulden und Schuld. Der Fall des Joseph Süß Oppenheimer als Lehrstück nicht nur für die Fürstenherrschaft der Frühen Neuzeit“, in: Geschichte für heute – Zeitschrift für historisch-politische Bildung. Zeitschrift des Verbandes der Geschichtslehrer Deutschlands, 1/2015, S. 35-46.

-  „Schulden und Schuld. Zur Aktualität des Joseph Süß Oppenheimer, später genannt ‚Jud Süß‘“, in: Ders., Zwischen Urteil und Vorurteil. Jüdische und deutsche Geschichte in der kollektiven Erinnerung, Frankfurt a.M. (Humanities Online), 2012, S. 119-164.

- Joseph Süß Oppenheimer, später genannt „Jud Süß“, http://www.juedischegeschichte.de/html/joseph_suess.html

Biographie, bibliographische Angaben, Bilder und Materialien (Zusammenfassung einiger Dokumente aus der Korrespondenz zwischen Joseph Süß und Herzog Karl Alexander von Württemberg) sowie weiterführende Links.

 

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