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Verband der Geschichtslehrerinnen und -lehrer


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hlands (VGD)

Der 7. Oktober 2023:
Ein neuer Zivilisationsbruch
Wolfgang Geiger                                                                           update 22.5.2024

 

Übersicht:

Vorbemerkung
Einleitung

Politisch-rechtliche Konstellation im Krieg Hamas / Israel
- Probleme des “asymmetrischen Konflikts” und der Definition von Terrorismus
- Hamas und Gaza
- Die Hamas, die Vereinten Nationen und wir
Der Zivilisationsbruch des 7. Oktober

++ Aktuell: Haftbefehle, Vorbereitung der Anklage vor dem Internationalen Strafgerichtshof? ++

 

Vorbemerkung

Die schrecklichen Bilder der zivilen Opfer des Krieges gegen die Hamas im Gaza-Streifen, die seit Monaten täglich in den Medien kommen, lassen den Schrecken, der am Anfang stand und Ursache für diese Folgen ist, mit jedem Tag schneller vergessen, jedenfalls in der Öffentlichkeit. Die zahlenmäßige Aufrechnung der Opfer und die Bilderflut aus Gaza überschatten die Dimension des Terrors und die wenigen in den Medien existierenden Bilder des Grauens vom 7. Oktober. Die historische Zäsur, die dieses Verbrechen auch in der langen Geschichte der Gewalt darstellt, wird als solche kaum wahrgenommen. Aber es ist nicht weniger als ein neuer Zivilisationsbruch. Dessen historische Bedeutung soll in der folgenden ausführlichen Analyse eindrücklich ins Bewusstsein gerufen werden.

Neu mit Quellensammlung:
www.israel-palaestina.net

Fires_in_Israel_and_the_Gaza_strip_-_7_October_2023_(53245908850)-small

Zur Vergrößerung Klick auf das Bild
Satellitenaufnahme 7.10.2023
Fires in Israel and the Gaza strip -
7 October 2023, Wikimedia Commons(Pierre Markuse)

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Einleitung

Gewalt, auch äußerste Gewalt, hat es in der Geschichte gegeben, soweit die historische Erinnerung der Menschheit reicht. Und es gab oft auch Rechtfertigungen dafür im Nachhinein und manchmal sogar im Vornherein, in vordemokratischen Zeiten meistens religiös gerechtfertigt - “Heilige Kriege”, die mit dem Islamismus im 20./21. Jh. wiederkehren als eine neue Form des Terrorismus. Mit der Akzeptanz von Menschenrechten sollte Gewalt als Mittel der Politik eigentlich vorbei sein und deren Legitimation wurde entsprechend schwieriger und galt eigentlich nur für den Verteidigungsfall. Doch wo es Verteidigung gibt, gibt es auch Angriff. Die Kriegführung als solche wurde reglementiert und Übertretungen entsprechend als Kriegsverbrechen deklariert, erstmals durch die Haager Landkriegsordnung 1899/1907. Das heißt nicht, dass Verbrechen, die nicht unmittelbar mit dem Kriegsgeschehen verbunden waren, außerhalb des Blickes geblieben wären. Zum einen galt für sie das normale Strafrecht und außerdem hat das Kriegsrecht Gewalt und andere Straftaten gegen Zivilisten explizit einbezogen, dies rückte im Laufe der Zeit sogar immer mehr in den Vordergrund.

Dennoch haben Menschenrecht und Kriegsrecht nicht die kolonialen Verbrechen einzelner Mächte im 19. und 20. Jahrhundert verhindert und auch nicht die Weltkriege innerhalb und außerhalb Europas mitsamt ihren Verbrechen bis hin zum Völkermord. Nach einem ersten Anlauf zur juristischen Ahndung von Kriegsverbrechen nach dem 1. Weltkrieg, die dann aber nicht stattfand, kam es nach dem 2. Weltkrieg erstmals zu einem Kriegsverbrechertribunal in Nürnberg und weiteren Prozessen. Es entstanden mehrere UN-Abkommen zum Menschen- und Völkerrecht, darunter die Völkermordkonvention 1948/1951 sowie die Genfer Konvention (IV) und deren für dieses Thema wichtige Zusatzprotokoll 1 von 1977.

Der Begriff des Völkermordes hat im Laufe der Zeit eine mediale Konjunktur erfahren, die ihn immer mehr zum politischen Propagandawerkzeug werden lässt und Differenzierungen in der Sache nivelliert. So ist dies im russischen Krieg gegen die Ukraine wie auch im “Gazakrieg” der Fall, wo Israel wiederholt Völkermord vorgeworfen wird. Angesichts der zeitlichen Dauer, der zivilen Opfer und allgemein der humanitären Lage im Gaza-Streifen tritt der terroristische Pogrom der Hamas an israelischen Männern, Frauen und Kindern vom 7.10.2023 immer mehr in den Hintergrund. Dabei sollte man sich gerade darüber klar werden, welche historisch einschneidende Bedeutung dieser hat.

Dies wird im Folgenden nach einer notwendigen Abhandlung über die Problematik des Umgangs mit terroristischen Organisationen im letzten Kapitel mit der These von einem neuen Zivilisationsbruch erklärt.

 

 

Wenn nicht anders angegeben: Alle Übersetzungen englischer Texte von mir W.G..

Karl Heinz Metz: Geschichte der Gewalt. Krieg - Revolution - Terror. Darmstadt (WBG / Primus) 23010.

>Haager Landkriegsordnung 1907

UN-Charta und Statut des Internationalen Gerichts- hofs  >UN

Allgemeine Erklärung der Menschenrechte >UN Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes >Bundesgesetzblatt 1954

Genfer Abkommen über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten, 1949 >Genfer Konvention ; >Zusatzprotokoll 1977

Vgl. Thema: Genozid. Pogrome, Massaker, Kriegsverbrechen, Völkermord... >Geschichtslehrerforum

 

 

 

Politisch-rechtliche Konstellation im Krieg Hamas / Israel

Wenn vom “Gaza-Krieg” gesprochen wird, der früher schon (z.B. 2014) auch als Israels “Krieg gegen Gaza” bezeichnet wurde oder sogar der ganze Konflikt als “Israels langer Krieg gegen Gaza 2006-2021” (Helga Baumgarten), so gilt Israel dabei nicht nur als der einzig Schuldige, sondern auch als der einzig Kriegführende. Der Terrorismus der Hamas wird nicht als Kriegführung verstanden, obwohl er mit den Raketenangriffen auf Israel in jeder neuen Phase des Konflikts und kulminierend 2023 mit dem Abschuss von Tausenden von Raketen einer regulären (nicht: legalen) Kriegführung sehr nahe kommt. Doch ist dies nur ein Aspekt der Strategie und der Aktion der Hamas.

Probleme des “asymmetrischen Konflikts” und der Definition von Terrorismus

Grundsätzlich handelt es sich noch um das, was man seit ca. zwei Jahrzehnten “asymmetrischen Konflikt” oder “asymmetrische Kriegführung” nennt, wobei letzteres widersprüchlich einen Kombattanten -Status suggeriert, den Terroristen nicht haben. Das Völkerrecht kennt Kombattanten als Angehörige von Streitkräften oder einer Miliz, die damit verglichen wird; der Unterschied zwischen beiden besteht darin, dass Milizen keine offiziellen staatlichen Einheiten sind, sondern organisierte bewaffnete Gruppen unterhalb der staatlichen Ebene und in den meisten Fällen heute gegen die staatliche Autorität gerichtet (Aufstandsbewegungen etc.). Um den Status einer Miliz im Sinne der Haager Landkriegsordnung (HLO) Art. 1 zu erhalten, muss sie aber folgende Kriterien in Anlehnung an reguläre Streitkräfte erfüllen:

1. wenn jemand an ihrer Spitze steht, der für seine Untergebenen verantwortlich ist,
2. wenn sie ein festes, aus der Ferne erkennbares Abzeichen tragen,
3. wenn sie die Waffen offen führen und
4. wenn sie bei ihren Unternehmungen die Gesetze und Gebräuche des Krieges
     beobachten [= beachten, W.G.]. (HLO, Art. 1 , vgl. auch S. Hobe, S. 56f., 67).

Diese Kriterien treffen für die hier ins Auge gefassten Organisationen Hamas, Islamischer Jihad, Hizbollah usw. allenfalls für Nr. 1 zu, wenn man die Leitungsfrage hierarchisch so zuspitzen kann, evtl. muss man auch von einer kollektiven Führung ausgehen. Wenn die Kriterien für eine Miliz somit nicht erfüllt sind, repräsentieren die so benannten “Kämpfer” dieser Organisationen keinen international anerkannten Status als Angehörige einer Miliz. Die gesamte Diskussion über Terrorismus und dessen Klassifizierung nach bestehendem internationalem humanitärem Recht dreht sich bislang vorwiegend darum, inwiefern transnationale Terroraktionen auch von nicht regulären Truppen trotzdem der Verantwortung eines Staates zugeschrieben werden können, weil nach dem bisherigen Recht internationale Konflikte nur zwischen Staaten konzipiert sind. Selbstverteidigung gegen einen bewaffneten Angriff gelte laut Internationalem Gerichtshof  nur zwischen bewaffneten Staaten (cf. E. Crawford, S. 224f.), eingeschlossen  sind darin Gegenangriffe (und darum geht es auch). Darauf konnten sich die USA und die NATO für den Kriegseinsatz in Afghanistan gegen die Taliban als Unterstützer von Al-Qaida berufen und bekamen dafür auch ein Mandat des UN-Sicherheitsrats

Ein Entwurf der UN nach dem 11.9.2001 zur Bekämpfung des Terrorismus “ungeachtet seiner Ziele”  durch die Alternative “Auslieferung oder Strafverfolgung” für das betreffende Land, das Terroristen beherbergt, ist lange an den unterschiedlichen Auffassungen von Terrorismus hängengeblieben (Stand 2019), v.a., weil die  Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) eine klare Unterscheidung forderte zwischen Terrorismus und “jenen Taten, die im Laufe eines bewaffneten Kampfes in der Ausübung des -Rechts der Völker auf Selbstbestimmung begangen werden, insbesondere von Völkern unter fremder Besatzung, kolonialer oder fremder Herrschaft.” (Rohan Perera, S. 122, 125f.). Die Nicht-Anwendung der Anti-Terrorismuskonvention, die für reguläre Streitkräfte gilt, weiil sie bereits dem etablierten Völkerrecht unterliegen, sei “allgemein auf die Parteien bewaffneter Konflikte auszudehnen.” (Schaller, S. 18). Diese Unterscheidung konnte sich formal auf das Zusatzprotokoll I von 1977 zur Genfer Konvention berufen (Art. 1.4), doch bezieht dieses nur die als rechtmäßig eingestuften Widerstandsbewegungen und ihr Handeln in die Regularien der Genfer Konvention ein, die terroristische Gewalt gerade nicht erlaubt.

Die Legalisierung von Gewalt im Rahmen dieses Passus der Genfer Konvention - also keine unbeschränkte Gewaltanwendung - hängt ferner davon ab, inwiefern eine koloniale Unterwerfung überhaupt gegeben ist, und dies wäre für Israel nicht der Fall auf seinem Staatsgebiet, weswegen es solche Akte nach eigenem Recht als terroristisch ansehen und verfolgen kann, während es selbst im besetzten Gebiet das internationale Recht einhalten muss  (cf. Saul 2020, S. 194f.). Die faktische Aneignung von Land durch oder für die israelischen Siedler und mindestens in einigen Aspekten die rechtliche Lage der palästinensischen Bevölkerung in den besetzten Gebieten ist ein Verstoß dagegen, der ja auch oft schon angeprangert wurde und im Mittelpunkt der Nahostproblematik heute steht.
 

 

Helga Baumgarten: Kein Frieden für Palästina. Krieg in Gaza, Besatzung und Widerstand. Wien (Pro- media) 2021. Kap. V: Israels langer Krieg gegen Gaza: 2006-2021

 

Asymmetrische Krieg- führung >Wikipedia

Deutscher Bundestag / Wissenschaftliche Dienste: Terrorismus als Gegenstand von Konzeptualisierungs- versuchen. Entwicklungen in Politikwissenschaft und Völkerrecht seit 2001. >Deutscher Bundestag 2023.

 

 

 

 

 

 

 

 

Emily Crawford: Terrorism and targeted killings under international law, in: Ben Saul (ed.): Research Handbook on International Law and Terrorism. Cheltenham (Elgar) second edition 2020. (Übers. W.G.)

Amrith Rohan Perera: The draft United Nations Comprehensive Convention on International Terrorism, in: Research Handbook,, s.o.

Christian Schaller: Völker- rechtliche Rahmenbedingu- ngen und die Rolle der Vereinten Nationen bei der Terrorismusbekämpfung, in: Ulrich Schneckener (Hrsg.): Chancen und Grenzen multilateraler Terrorismus- bekämpfung. SWP-Studie, Stifung Wissenschaft und Politik / Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit, Juni 2007.

Genfer Konvention, >Zusatzprotokoll I von 1977.

Ben Saul 2020: Terrorism and international humanitarian law, in: Research Handbook..., s.o.

Inzwischen hat das UN-Komitee am 8.11.2023 seinen Terrorismus-Entwurf verabschiedet, mit Verweis auf die Zunahme des internationalen Terrorismus ohne Nennung des Nahen Ostens, aber mit der umstrittenen Formel, dass Terrorismus “mit politischen Zielen nicht zu rechtfertigen ist”, egal welchen (Draft Resolution 8.11.23, Nr. 4). Doch wurden darin auch die säumigen Staaten ermahnt, die noch nicht einmal frühere von der UN beschlossene Maßnahmen gegen den Terrorismus umsetzten. Außerdem müsste der Entwurf des Komitees erst durch eine entsprechende Resolution der UN-Vollversammlung angenommen werden.

Der Afghanistan-Einsatz änderte seinerseits nichts daran, dass Al-Qaida international agierte und zahlreiche Führungspersönlichkeiten oder “Kämpfer” sich außerhalb Afghanistans befanden, am Ende auch Bin Laden selbst. Nach der Erfahrung von 9/11 haben die USA für ihr staatliches Recht den Begriff des “unlawful enemy combatant” eingeführt (cf. Hobe, S. 57ff.). Die damit verbundene Problematik einer rechtlichen Erfassung terroristischer Aktivitäten liegt auch in der heute ganz unzeitgemäßen Unterscheidung national/international und der veralteten Vorstellung, Terrorismus im engeren Sinne werde national bzw. auf nationalem Boden ausgeübt, was jedoch gerade durch Al-Qaida und den gesamten islamistischen Terrorismus eklatant widerlegt wurde .

Transnationaler Terrorismus kann somit bislang nur aufgrund nationaler Gesetzgebung und nationalen Handelns bekämpft und geahndet werden. Der Internationale Gerichtshof ist für nicht-staatlichen Terrorismus nicht zuständig, weil Terrororganisationen kein völkerrechtliches Subjekt sind. Sind sie von der UN als Terrororganisation eingestuft, könnten die unterstützenden Staaten sanktioniert werden, mehr nicht, abgesehen von der Festnahme und Bestrafung einzelner Täter oder Verantwortlicher. Aus diesem Grunde beanspruchen die USA, wie auch Israel, unmittelbar Schuldige und im weiteren Sinne Verantwortliche für in ihrem Land verübte Verbrechen auch außerhalb der Landesgrenzen zur Rechenschaft zu ziehen. Die daraus hervorgegangene Praxis der “gezielten Tötung” (targeted killing, dazu Saul 2020, S. 202f.) - nicht als Bestrafung im juristischen Sinne sondern als militärischer Akt im Rahmen einer erweiterten Kriegshandlung - wird dabei in der Debatte viel mehr, und kritisch, diskutiert als die vorausgegangene Tat, Ursache und Rechtfertigung dessen, nämlich der terroristische Akt innerhalb durch Infiltration und/oder Steuerung von außerhalb. Das internationale Völkerrecht konnte bislang nicht an diese Entwicklungen angepasst werden und wird es vermutlich auch nicht, da dafür, wie erwähnt,  eine Mehrheit auf UN-Ebene notwendig wäre und ohnehin jedem einzelnen Staat zur Ratifikation vorbehalten bliebe.

Nicht-Kombattanten können sich nicht auf einen Kombattanten-Status berufen, ihr Gegner braucht folglich einen solchen nicht zu respektieren, dieses Problem tauchte schon in der Haager Landkriegsordnung bezüglich der Partisanenfrage in regulären Kriegen auf.  Da der Tatbestand des Terrorismus so unklar geblieben ist und zudem der Begriff noch viel mehr zur politischen Propaganda missbraucht wird  als, wie oben genannt, der Genozidvorwurf, gibt es kein konsensuelles Verständnis von Terrorismus und Terroristen. Die Wahl der Mittel steht zudem noch in einem Bezug zu den Zielen, häufig legitimeren letztere erstere in der politischen Debatte, wie wir unten auch konkret zur Hamas sehen werden.
 

 

StUN General Assembly, 8.11.2023, 78th session, 6th Committee, Agenda item 109, Mesures to eliminate international terrorism, Draft Resolution >UN
 

Stephan Hobe: Das humanitäre Völkerrecht in asymmetrischen Konflikten: Anwendbarkeit, modifizierende Interpretation, Notwendigkeit einer Reform? in: Zimmermann / Hobe / Odendahl u.a.: Moderne Konfliktformen. Humanitäres Völkerrecht und privatrechtliche Folgen. Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Bd. 44, 31. Tagung in München 15.-18. April 2009. Heidelberg u.a.o. (C.F. Müller) 2010, >Deutsche Gesellschaft für internationales Recht

 

 

 

 

 

 

 

 

Hamas und Gaza / Hizbollah und Libanon

Die Dichotomie national oder international trifft für den Gaza-Konflikt und im weiteren Sinne für den ganzen Palästinakonflikt nicht zu, aber auch nicht die Charakteristik transnational agierender Netzwerke wie Al-Qaida oder IS, denn es gibt identifizierbare Strukturen und Verantwortlich- keiten:

(1) Gaza wurde 2005/06 durch den Rückzug der israelischen Truppen de facto ein freies Territorium, in dem die Hamas zivile und militärische Macht übernahm und ausübte, also regierte. Sie konnte sich anfangs sogar durch eine Mehrheit bei der Wahl legitimieren. Gaza ist somit kein “Inland” mehr im erweiterten Sinne als  besetztes Gebiet. Doch die zahlreichen Stimmen von der “fortgesetzten Besatzung” durch die Abschottung der Grenzen suggerieren dieses.

(2) Noch weniger können Angriffe der Hizbollah aus dem Libanon als interner Aufstand klassifiziert werden, die Hizbollah ist aber im Libanon quasi ein Staat im Staate, Teil des politischen Establishments und trotzdem kein Staat und auch keine von der UN eingestufte Terrororganisation; allerdings geschah dies hier durch die sunnitischen Staaten der Arabischen Liga, weil die Hizbollah schiitisch und mit dem Iran verbunden ist. Sie hat nach Schätzungen 150.000 Raketen im Libanon bereit für einen Angriff auf Israel und dies wird aller Voraussicht nach der noch viel größere Konflikt mit Israel werden als jetzt der mit Hamas.

(3 Der ganze nahöstliche Kontext machte von Anfang an das Palästina-Problem zu einem internationalen und tut es heute noch v.a. durch das Engagement des Iran . Die Anwendung terroristischer Gewalt wurde früher von der PLO und dann durch die Hamas sowie ihrer internationalen Unterstützer mit dem besonderen Widerstandsrecht begründet aufgrund der Tatsache, dass den Palästinensern legaler Widerstand verwehrt sei. Die kausale Reihenfolge ist jedoch genau umgekehrt: Die Verfolgung der Hamas als Organisation im Westjordanland begann erst lange, nachdem sie ganz offen zum Terrorismus überging, und auch erst, nachdem die palästinensische Autonomiebehörde sie nicht neutralisieren konnte oder wollte.
 

 

Hamas >Wikipedia

 

 

Hisbollah >Wikipedia

 

 

 

 

 

 

Zur Chronologie cf. >Geschichtslehrerforum /
 Nahost 7

 

Den Wahlkampf 2006 zum Palästinensischen Legislativrat hat die Hamas mit einer uneingeschränkten Propaganda gegen die Existenz  Israels, für bewaffneten Widerstand gegen die Besatzung, den Islam als  einzige Religion und die Scharia für Palästina geführt. Die definitive Vertreibung der Hamas aus dem Westjordanland erfolgte erst 2007 nach der gewaltsamen Konfrontation mit der Fatah um die Macht, die zur Aufteilung Gaza für Hamas/ Westbank für Fatah geführt hat.

Auch das Recht auf bewaffneten Widerstand erlaubt keinen Terrorismus gegen die Zivilbevölkerung, dies wurde deswegen von seinen Akteuren mit dem “Staatsterrorismus” Israels gerechtfertigt (cf. J. Rehman, S. 175). Die Todesopfer, die es in den Konflikten der ersten und vor allem der zweiten Intifada auf palästinensischer Seite unter Nichtkombattanten gegeben hat, können jedoch nicht pauschal einer beabsichtigten Strategie zur Ermordung von Zivilisten zugeschrieben werden, auch wenn gewiss Fälle individuellen Fehlverhaltens von Soldaten zu konstatieren sind oder Opfer jedenfalls vermeidbar gewesen wären. Nach dem klassischen Kriegsrecht könnten diese “Kollateralschäden” als Grenzfälle von zivilen Opfern in einem militärischen Konflikt gelten, eine breite Grauzone in diesem asymmetrischen Konflikt ohne Trennung zwischen Kriegsschauplatz und kampffreier Zone. Umgekehrt hatten die Bombenattentate von Seiten der Hamas und des Islamischen Jihad von vornherein beliebige Zivilisten in Israel an Bushaltestellen usw. im Visier. Dies ist eindeutig kein Teil eines Befreiungskampfes, es sei denn, aus der Logik der Hamas, man sieht jeden israeli als Besatzer und Feind, der getötet werden darf und muss. Dies entspricht nicht einmal den klassischen Kriterien von Terrorismus, wie sie vor dem Auftreten des islamistischen Terrorismus umrissen wurden.

Terrorismus wurde in der bisherigen politischen Analyse im Wesentlichen kategorisiert als
(1) Attentate gegenüber Verantwortungsträgern einer als unterdrückerisch empfundenen Macht (als Urteil des “Volksgerichts” o.ä.) oder
(2) Anschläge auf deren Einrichtungen oder
(3) als Mittel zum Zweck einer erpresserischen Handlung, wie die Geiselnahme zum Zweck der Befreiung von Gefangenen.

Dahinter stand dann auch das allgemeine Konzept, Schrecken zu erzeugen und dadurch politischen Druck auf die Bevölkerung auszuüben, nahe an der ursprünglichen Bedeutung der Terreur in der Französischen Revolution, d.h. dort von Regierungsseite (Jakobiner) zur Einschüchterung jeglicher Opposition praktiziert, später perfektioniert in der Sowjetunion unter Stalin durch Massenverhaftungen und -exekutionen selbst in der eigenen Logik Unschuldiger.

Die erste Phase der Terroranschläge der Hamas seit den 1990er Jahren verfolgte das Ziel, Israel von dem eingeschlagenen Weg zu Verhandlungslösungen abzubringen, indem die Provokation durch die Gewalt auf der israelischen Seite eine Reaktion der Radikalisierung bewirkte. Nach dem sprichwörtlichen System der “kommunizierenden Röhren” arbeiteten sich dabei die Extremisten auf beiden Seiten in die Hände, wie bei dem Attentat auf Rabin am 3.11.1995 durch einen israelischen Extremisten. Gleichzeitig sollte dies mit derselben Intention die Verhandlungswilligen auf Seiten der PLO schwächen. Das gleiche gilt für Annäherungsprozesse zwischen Israel und den arabischen Staaten. Als sich die Arabische Liga 2002 erstmals für die Existenz und Sicherheit Israels im Rahmen einer Zweistaatenlösung aussprach, verübte die Hamas an Pessach ein Selbstmordattentat im Park Hotel in Netanya mit 30 Toten. Dies war der Höhepunkt der zweiten Intifada  und löste eine umfangreiche Militäroperation der Regierung Sharon im Westjordanland gegen vermutete Terroristen mit entsprechenden Auswirkungen (s.o.)  auf die Zivilbevölkerung aus.

Die immer wieder nach diesem Schema verlaufende Strategie ist weitgehend aufgegangen. Das politische Ziel des Anschlags vom 7.10.2023 war in diesem Kontext daher auch, die jüngste Annäherung mit Saudi-Arabien zu torpedieren, die sich im Rahmen einer sich zuspitzenden Konfrontation zwischen den sunnitischen und schiitischen Staaten vollzog, geführt von Saudi-Arabien und Iran, die sich konkret auch im Krieg im Jemen gegenüberstehen. Für die Regierung Netanyahu ist bzw. wäre dies ein riesiger Erfolg gewesen, weil diese arabischen Staaten damit eigentlich die Causa Palästina gegenüber dem prioritären politisch-religiösen Konflikt mit dem Iran aufgeben würden.

Das legitimiert jedoch in keinster Weise die Tat vom 7. Oktober.
 

ls

Javaid Rehman: Islam, Terrorism and international law, in. Research Handbook..., s.o.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dieser ganze Zusammenhang wird aktuell dargestellt in Joseph Croitoru: Die Hamas. Herrschaft über Gaza - Krieg gegen Israel. München (C.H. Beck), 2024

 

 

 

 

 

Die Hamas, die Vereinten Nationen und wir

Aufgrund der Unklarheiten über die Definition von Terrorismus gibt es auch keine allgemein anerkannte Auflistung von terroristischen Organisationen. Die EU hat die Hamas 2001 auf die Liste terroristischer Vereinigungen gesetzt. In der UN-Vollversammlung wurde dagegen 2002 auf Druck der Organisation für Islamische Zusammenarbeit von einer weit über sie hinausreichenden Mehrheit beschlossen, die Hamas nicht als terroristische Organisation einzustufen. Am 27.10.2023 beschloss dann die Generalversammlung  “mit großer Mehrheit eine Resolution, die einen sofortigen  Waffenstillstand forderte, ohne die Hamas und ihr Massaker zu erwähnen.” (Wikipedia). Letzteres wurde breit in den Medien diskutiert, auch wegen der deutschen Enthaltung dabei, Ersteres (2002) blieb fast unbekannt, obwohl es die Begründung für Letzteres liefert.

Die Hamas wurde seit 2002 von einigen offen, von anderen stillschweigend als legitimer Ausdruck “des bewaffneten Kampfes gegen fremde Besatzung, Aggression, Kolonialismus und Herrschaft” klassifiziert, “mit dem Ziel der Befreiung und Selbstbestimmung.” (zit. nach B. Saul 2015, S. 400). “Dagegen meinten die westlichen und anderen Staaten, Terrorismus sei Terrorismus unabhängig von seinen Motiven. Ergänzend meinten sie, dass Selbstbestimmungskonflikte bereits durch das internationale humanitäre Recht (IHL) geregelt war.” (ebd.).

Doch die Hamas agierte dadurch im völkerrechtlichen Niemandsland: Sie wurde weder als Miliz mit Kombattantenstatus eingestuft und auch nicht politisch als Regierung über den Gaza-Streifen anerkannt, die sie seit 2006/07 war, und ist daher nicht wie Israel im Sinne des Kriegs- und Völkerrechts anklagbar. Sie wurde aber auch nicht als die Terrororganisation eingestuft, die sie ebenfalls ist, und ist daher auch nicht Gegenstand diesbezüglicher internationaler Abkommen. De facto soll sie eine “Partei im bewaffneten Konflikt” sein (so die OIC 2002), das wurde zwar so nirgendwo beschlossen, aber auch nichts Anderes diesbezüglich. Ihre Führer und auch ihre “Kämpfer” können im Ausland leben und von dort aus agieren - es sei denn, die jeweilige nationale Gesetzeslage spricht dem entgegen -, ohne dass sich der betreffende Staat einer Anklage auf Unterstützung des Terrorismus aussetzt. Am 20.4.2023, Tag des 135. Geburtstags von Hitler, konnte der türkische Staatspräsident Erdogan den politischen Führer der Hamas, Ismail Haniyeh, mit einer Delegation der Hamas empfangen, wie schon öfters zuvor, und verglich in diesem Zusammenhang schon drei Tage zuvor erneut Netanyahu mit Hitler - ja, er habe sogar “Hitler schon längst übertroffen.” (zit in Die Presse).
 

 

Hamas, Einstufung >Wikipedia

 

 

 

Ben Saul: Terrorism and transnational crime , in: Neil Boister / Robert J. Currie: Routledge Handbook of Transnatjonal Criminal Law. Abingdon, Oxon / New York (Routledge) 2015.

Das IHL International Humaniarian Law ist ein Oberbegriff für die entsprechenden völkerrechtlichen Abkommen (Genfer Konvention u.a.)

Erdogan empfängt Hamas-Chef und vergleicht Netanjahu mit Hitler, 17.4.2023, >Die Presse

Treffen mit Haniyya: Erdogan drängt auf Waffenruhe und Hilfe für Gaza, 20.4.2024, >TRT deutsch

Hamas-Chef Haniyeh auf besonderen Wunsch zu Besuch in der Türkei, von David Isaac, 21.4.2024,
>Mena-Watch

Obwohl aber nun die Hamas von der EU bereits 2001 auf die Terrorliste gesetzt wurde, gab es in Deutschland keine Konsequenzen für deren Mitglieder oder Sympathisanten daraus (einen Mitgliederstatus als “eingetragenes Mitglied” git es ohnehin nicht). Erst am 2.11.2023 wurde die Hamas zusammen mit dem Verein Samidoun in Deutschland verboten. Bis dahin wurden den Sicherheitsbehörden  bekannte Hamas-Mitglieder in Deutschland nicht belangt, lediglich Vereine, die für die Hamas Spenden eintrieben usw. wurden nach dem Vereinsrecht verboten (vgl. KAS). Der Verfassungssschutz “zählte 2022 rund 450 Hamas-Anhänger in Deutschland und beobachtete ihre Aktivitäten, stellte aber keine eigene Terrorgewalt bei ihnen fest.” (Wikipedia). Damit wurde die strafrechtliche Kategorie “Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung” ad absurdum geführt. Hintergrund dessen war natürlich wieder die Dichtotomie national/international: In Deutschland war die Hamas ja friedlich.

Obwohl dies auch nach dem 7.10. formal gesehen so war, konnte man sie dann aber doch verbieten mit der offiziellen Begründung: “Die Tätigkeit der Vereinigung HAMAS (Harakat al-Muqawama al-Islamiya) läuft den Strafgesetzen zuwider und richtet sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Zudem beeinträchtigt und gefährdet die Tätigkeit der HAMAS sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland.” (Bundesanzeiger). Dies geschah am 2.11., mehr als drei Wochen nach dem 7.10., und Bundesinnenministerin Faeser erklärte zur Begründung ergänzend: “Mit der HAMAS habe ich heute vollständig die Betätigung einer Terrororganisation verboten, die zum Ziel hat den Staat Israel zu vernichten.” (BMI).

Diese Erkenntnis war damals schon 22 Jahre alt und auch CDU-Innenministern ab 2002 bekannt. Bis zum 2.11. aber hat man Mitglieder einer klassifizierten Terrororganisation auf deutschem Boden geduldet, Deutschland galt “als Rückzugsraum der Hamas” (Spiegel). Die polizeiliche Razzia, Durchsuchungen bei Hamas-Unterstützern, in fünf Bundesländern fand wiederum erst drei Wochen später statt (cf. tagesschau). In dieser Zwischenzeit hatten die jetzt illegalen Hamas-Anhänger - das galt ebenso für Samidoun -  alle Zeit, belastende Dokumente zu vernichten.
 

 

Hamas in Deutschland - Das Ende der Waffenruhe, in: Spiegel 51/2023, 15.12.2023, >Spiegel Online, ganzer Text nur über Digital-Abo; auf englisch jedoch verfügbar:  >Spiegel International

Peter Wichmann: HAMAS. Konrad Adenauer Stiftung  / Extremismus  Unsere Demokratie muss wehrhaft und wachsam sein, >KAS

Bundesministerium des Innern und für Heimat: Pressemitteilung Vereinsverbote “HAMAS” und “Samidoun”, 2.11.2023, >BMI
Bundesanzeiger vom 2.11.2023: : Verbot der HAMAS, >BA >2023 >B10

 

Durchsuchungen bei Hamas-Unterstützern, 23.11.2023, >tagesschau

 

Zu dieser ganzen Problematik kommt noch die indirekte Unterstützung für die Hamas in Gaza durch die humanitären Hilfen für die Bevölkerung in der Vergangenheit, als solche sicher berechtigt, aber im Kontext unweigerlich auch Hilfen für die Hamas, weil sie die Gelder, die sie ansonsten bekam, entsprechend prioritär für ihre Aufrüstung verwenden konnte. Dieser Zusammenhang ist noch nicht einmal erkannt worden, wenn man im Nachhinein nach eingehender Untersuchung bekräftigt, dass die Hilfen nicht zweckentfremdet verwendet wurden.

Die Resolution der UN-Vollversammlung vom 26.10.2023 wurde am Tag der Entsendung von israelischen Bodentruppen nach Gaza beschlossen. Sie forderte einen Waffenstillstand und implizierte damit die Machterhaltung der Hamas. Gewiss, die Resolution “verurteilt alle Gewalttaten gegen palästinensische und israelische Zivilisten, inklusive aller Akte von Terrorismus und unterschiedsloser Angriffe” (UN-Resolution 26.10.), das soll hier nicht unterschlagen werden, doch die Pauschalität dieser Formulierung macht alles äquivalent und der Text benennt ansonsten nicht nur eine konkrete Verurteilung der israelischen Intervention im Gaza-Streifen, sondern auch der israelischen Besatzungspolitik in den anderen palästinensischen Gebieten (West Bank und Ost-Jerusalem), während die Hamas überhaupt nicht erwähnt wird. Denn der Appell zum Waffenstillstand in Gaza ist unter die Thematik eingeordnet: “Illegal Israeli actions in Occupied East Jerusalem and the rest of the Occupied Palestinian Territory” und drückt nur “die große Besorgnis über die jüngste Eskalation von Gewalt seit dem Angriff vom  7. Oktober und die gravierende Verschlechterung der Lage in der Region” aus, “insbesondere im Gaza-Streifen und dem Rest der besetzten palästinensischen Territoriums, einschließlich Ost-Jerusalems, und in Israel.” (UN 26.10.).

Dass zumindest der “Angriff vom 7. Oktober” in den Text kam, ist wohl der deutschen Initiative zu verdanken, wie ich Außenministerin Baerbock zur Begründung der deutschen Enthaltung im Fernsehen verstanden habe. Aber die Tat vom 7.10. wird als solche nicht explizit verurteilt, sondern mit allen anderen auf eine Stufe gestellt, also nicht einmal als solche charakterisiert (nur “Angriff”), und die Hamas wird im Text noch nicht einmal als Kriegspartei erwähnt, gegenüber Israel als “Besatzungsmacht”, obwohl die Entsendung von Bodentruppen an diesem 26.10. gerade erst begann.  Während zu einem Waffenstillstand normalerweise zwei gehören, gilt dies hier nur für Israel. Da kein Kriegsgegner benannt wird, geht der Krieg “gegen Gaza”, d.h. die Bevölkerung, und gilt daher nur als besonders schlimme Fortsetzung der israelischen Besatzungspolitik. Auf der UN-Seite mit der Zusammenfassung der Debatte wird immerhin herausragend erwähnt: “Member States Fail to Adopt Amendment Condemning 7 October Terrorist Attacks by Hamas in Israel”.

Der Hamas wird aber, daran sei erinnert, seit der Debatte von 2002 quasi rechtlich der legitime Widerstand gegen Israel und in Israel, weil auf dem Boden des historischen Palästina (d.h. vor 1947, dem ehem. britischen Mandatsgebiet) zuerkannt, weswegen sie nicht als terroristische Organisation gilt und die von ihr verwendeten Mittel des “Widerstandes” nicht explizit verurteilt werden, deswegen auch nur der “Angriff” vom 7. Oktober im UN-Beschluss vom 26.10. und die pauschale, äquivalente Formulierung bzgl. der Gewalt gegen Zivilisten auf beiden Seiten. Dabei mangelt es nicht an Resolutionen gegen den Terrorismus als solchem, wie z.B. in der Resolution des Sicherheitsrats vom  8.10.2004, in der Phase des War on Terror seit 2001,  worin “auf das Schärfste alle Akte von Terrorismus ohne Berücksichtigung ihre Motive [...] als eine der ernsthaftesten Bedrohungen von Frieden und Sicherheit” verurteilt werden (UN 2004). Doch was nützen solche Absichtserklärungen, wenn ihnen im konkreten Fall keine Taten folgen?

Somit wurde von der überwältigenden Mehrheit der UN-Mitgliedstaaten der Terrorakt vom 7.10 als solcher nicht verurteilt, ja, noch nicht einmal  als eine in ihrer menschenverachtenden Dimension herausragende Tat erkannt bzw. benannt. Eine spezifische Verurteilung auch der Hamas und ihrer Gräueltat hätte Israel  das Verteidigungsrecht zugesprochen. Man hätte dann ja trotzdem einen Waffenstillstand fordern können, doch die Schuld wäre nicht mehr einseitig auf Israel projiziert gewesen.
 

 

United Nations General Assembly Resolution ES-10/21, Bericht auf >Wikipedia (englisch)

UN General Assembly: Illegal Israeli actions in Occupied East Jerusalem and the rest of the Occupied Palestinian Territory / Protection of civilisans and upholding legalen humanitarian obligations, 26.10.2023, >UN; Zusammenfassung der Debatte: >UN

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

UN Security Council, 8.10.2004: >Resolution 1566 / S/RES/1566 (2004)

 

 

“Dabei dürfen wir uns nicht an der Nase herumführen lassen durch das Drehbuch der Hamas”
Außenministerin Baerbock am 24.10.2023 im UN-Sicherheitsrat (Video bei 8:20)

UN-Generalsekretär Guterres verurteilte den Angriff der Hamas in einer ersten Stellungnahme noch am Abend des 7.10. “aufs Schärfste”: “Er rief dazu auf, alle diplomatischen Anstrengungen zu unternehmen, um einen größeren Flächenbrand zu verhindern.” (NDR). Gewiss will fast niemand einen kriegerischen Flächenbrand, mit Ausnahme der Hamas selbst, doch wurde darin die Stoßrichtung weg von der Hamas auf das gelenkt, was dann zwangsläufig auch folgte, die militärische Intervention Israels im Gaza-Streifen. “Palästinenserpräsident Abbas erklärte, die Ungerechtigkeit, die seinem Volk widerfahre, habe den Konflikt zur Explosion getrieben.” (ebd.). Damit war auch die Schuld am 7.10. kausal auf Israel gelenkt. Die kausale Schuld - dass es soweit kam - überdeckt die Schuld der Tat. Am 24.10. schloss sich der UN-Generalsekretär in der Debatte des UN-Sicherheitsrats dieser Meinung an:

    “Es ist wichtig zu erkennen, dass die Angriffe der Hamas nicht im luftleeren Raum stattfanden. Das palästinensische Volk war 56 Jahre lang einer erdrückenden* Besatzung ausgesetzt. [...] Ihre Hoffnung auf eine politische Lösung sind geschwunden. Das Leid des palästinensisches Volkes kann die fürchterlichen Angriffe des Hamas nicht rechtfertigen, aber diese fürchterlichen Angriffe können auch die kollektive Bestrafung des palästinensischen Volkes nicht rechtfertigen. Ich bin zutiefst bestürzt über die eindeutigen Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, die wir in Gaza beobachten. Lassen Sie mich das klar sagen: keine Partei in einem bewaffneten Konflikt steht über dem internationalen humanitären Recht. “ (Wortlaut der Simultanübersetzung, Video 0:00-0:56)

Auf die heftige Kritik daran in westlichen Medien stellte Guterres am Tag darauf gegen alle Missverständnisse klar, dass er keine Rechtfertigung des Hamas-Angriffs ausgesprochen habe. Die Problematik seiner Aussage wurde dadurch aber in nichts korrigiert:

(1) Natürlich hat er den Terrorakt nicht gerechtfertigt, er hat auch die Praxis der “menschlichen Schilde” in Gaza verurteilt, aber er hat die Schuld dafür, dass es soweit kommen konnte, Israel zugesprochen (kausale Schuld). Es ist dieselbe Logik wie bei Schüleraußerungen in früheren Zeiten zum Thema palästinensischer Terrorismus: “Die haben ja keine andere Möglichkeit, sich zu wehren.” - Guterres: “Ihre Hoffnung auf eine politische Lösung ist geschwunden.” Keine Rechtfertigung der Tat als solcher, aber Legitimierung durch die Umstände. Dies führt Guterres auch aus, denn dazu kam es “nicht im luftleeren Raum” - oder gewissermaßen doch: durch die “erstickende Besatzung” seit 56 Jahren in den palästinensischen Gebieten, wie es im englischen Original heißt (“suffocating occupation”) und von der Simultanübersetzung leider schlecht rübergebracht und auch u.a. von der F.A.Z. so übernommen wurdewurde, denn “erstickend” ist mehr als “erdrückend”, letzteres ist ein Allerweltsausdruck, ersterer ist jedoch weit drastischer und suggeriert: kurz vor dem Tode. In solch einer Situation darf man jedoch zu allen Mitteln greifen.

(2) “Seit 56 Jahren” lässt gezielt außer Acht, dass Verhandlungslösungen gesucht und gefunden wurden, aber nur rudimentär umgesetzt, und jede dauerhafte Lösung verhindert wurde. “56 Jahre” meint jedoch: ohne Unterbrechung, und zwar von Israel gewollt zur “Bestrafung des palästinensischen Volkes”. Woraus folgt: Die Formel “Ihre [= der Palästinenser] Hoffnung auf eine politische Lösung ist geschwunden” ist nicht nur eine indirekte Rechtfertigung für andere “Lösungen”, sondern verschweigt auch bewusst, dass und welche Anstrengungen bislang dafür unternommen wurden und warum sie in Wirklichkeit keinen Erfolg hatten.
 

 

Phoenix Video-Ausschnitt von der Debatte im UN-Sicherheitsrat am 24.10.2023, >YouTube. Wortlaut der Simultanübersetzung

>NDR Info Nachrichten vom 7.10.2023, 22:15

 

 

 

 

* “suffocating” = “erstickend”

Phoenix Video, s.o.

Secretary-General’s remarks to the Security Council - on the Middle East, 24.10.2023, >UN

Erklärung von UN-Generalsekretär Guterres zur Lage im Nahen Osten, 25.10.2023, >UNRIC

Video der gesamten Sitzung im Origjnal, Rede von Guterres ab 9:40, >YouTube

Guterres‘ Israel-Kritik: Der Weltretter verliert die Hoffnung, von Andreas Ross, 25.10.2023, >FAZ

 

 

 

 

 

 

 

 

Es ist sicher ein weiteres Beispiel für die hierzu schon klassische Täter-Opfer-Umkehr (vgl. FR), aber der grobe Begriff bringt nicht die Finesse zum  Ausdruck, die in solchen Formulierungen steckt und deswegen eine größere Zahl von Menschen und Mitgliedstaaten der UN überzeugen kann, eben auch solche, die nicht unbedingt als notorische Gegner Israels bezeichnet werden können.

Während sich die EU durch den Hohen Vertreter für die Außenpolitik, Josep Borrell, noch am 7.10. eindeutig in einer schnellen Reaktion hinter Israel und sein Recht auf Verteidigung gegen den Terror-Angriff der Hamas gestellt hat und die Ratspräsidentin Ursula von der Leyen dies kurze Zeit später in einer längeren Erklärung eindrucksvoll ausführte, relativierte Borrell dies bereits wieder angesichts des andauernden Krieges in Gaza auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2024 und stellte mit eigenen Worten, aber sinngemäß ähnlich wie Guterres, den Grund für diesen Krieg in Gaza in den Kontext der Besatzungspolitik:

    “Er sagte, Friedensgespräche über Frieden im Nahen Osten hätten sich auf Gaza fokussiert, wo Israel einen militärischen Feldzug unternimmt, der in der Folge des Angriffs der Hamas vom 7. Oktober auf israelische Zivilisten Zehntausende getötet hat und über eine Million Flüchtlinge geschaffen hat. [..] ‘Ja, wir müssen den Krieg in Gaza beenden, aber die West Bank ist das wirkliche Hindernis für eine Zweistaatenlösung.’ [...] Israel benötige eine politische, keine militärische Lösung des Konflikts mit den Palästinensern.” (nach dem Bericht von Politico).

Natürlich kann es am Ende nur eine politische Lösung für den gesamten Konflikt geben, doch in diesem Kontext suggerieren diese Äußerungen, die Hamas spreche für die Palästinenser oder agiere in ihrem Sinne. Dass sie nicht militärisch besiegt werden könne, wie man quer Beet hört, bedeutet ja, dass man sie politisch akzeptieren müsse. Das Interesse der Hamas ist aber so wenig eine politische Lösung, wie es dies für die Taliban war und wie es die Aktualität ja gerade eklatant beweist. Trotzdem ist für Borrell nicht die Hamas “das wirkliche Hindernis für eine Zweistaatenlösung”, dabei ist sie das erfolgreich seit weit mehr als zwei Jahrzehnten. Damit wird hier der Hamas, wie auch bei Guterres, zwar keine Rechtfertigung für ihre Tat, aber einen berechtigten Grund dafür zugestanden. Dieses double bind charakterisiert die ganze Auseinandersetzung um diese Thematik. Und wie hier vier Monate nach dem 7.10. das Problem Hamas (wieder) zum Problem Israel wurde, ist ebenfalls exemplarisch. 

Selbstverständlich ist die Siedlungspolitik und die sukzessive Annexion von Teilen des besetzten palästinensischen Gebietes zu verurteilen, es bedarf dann aber auch einer ernsthaften Analyse, warum sich dies dahin entwickelt hat - hier wird die Ursachenforschung immer übergangen - , wenn man noch eine politische Lösung finden will. Eine “politische Lösung”, die der Hamas noch einen Platz darin einräumen will, ist nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Auch in der 2017 revidierten Charta der Hamas, die den religiös islamistischen Aspekt reduziert und den universell antisemitischen Aspekt der Bekämpfung des Judentums bis zum Jüngsten Gericht (Art. 7, Charta von 1988) daraus entfernt hat, bleibt der “Widerstand gegen die Besatzung mit allen Mitteln und Methoden ein legitimes Recht, garantiert durch göttliche Gesetze und internationale Normen und Gesetze.” (Hamas 2017).
 

 

Guterres’ Fehler, von Andreas Schwarzkopf, 25.102023, >Frankfurter Rundschau

Rat der Europäischen Union, Erklärung des Hohen Vertreters im Namen der Europäischen Union zu den Angriffen auf Israel, 7.10.2023, >EU

Erklärung von Präsidentin von der Leyen anlässlich der Schweigeminute des Kollegiums im Gedenken an die Opfer der Terroranschläge in Israel in Anwesenheit des israelischen Botschafters bei der EU, 11.10.2023, >EU

EU’s top diplomat warns Israel can’t de3feat Hamas by military means, 18.2.2024, >Politico

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hamas-Charta 2017: The document in full. >Middle East Eye, 2.5.2017

 

Der Zivilisationsbruch des 7. Oktober
Der terroristische Angriff der Hamas am 7.10.2023 bestand aus drei Komponenten:

(1) Das in dieser Form bislang nicht dagewesene Ermorden von nach letzter Berechnung (cf. Wikipedia) 1139 Menschen auf israelischem Gebiet, darunter 766 Zivilisten (36 Minderjährige) auf bestialische Weise abgeschlachtet, sowie 373 Sicherheitskräfte, zum Teil ebenfalls durch den Überfall überrascht, zum Teil im Widerstand getötet, sowie 5400 (oder mehr) Verletzte;
(2) die Entführung von 240 Geißeln zur Erpressung von Zugeständnissen der israelischen Regierung: Freilassung von palästinensischen Inhaftierten in Verbindung mit einer Waffenruhe im Gaza-Streifen und letztlich ganz offensichtlich mit dem Ziel eines dauerhaften Waffenstillstands wie 2014, der die Regeneration der Hamas vor Ort ermöglichen soll;
(3) der massive Raketenbeschuss, nicht neu, aber qualitativ (Reichweite) und quantitativ (Zahl der Raketen) bislang nicht dagewesen. 

Letzteres zeigt in Verbindung mit den Entdeckungen im Tunnelsystem, welche gigantische Aufrüstungsleistung mit internationaler Hilfe in einer Region erfolgt war, die häufig als “KZ unter freiem Himmel” bezeichnet wurde und in die täglich Hunderte von Lkws mit Hilfsgütern gekommen waren. Dies kam erst jetzt im “Gaza-Krieg” massiv in die Medien, weil die Hilfslieferungen drastisch eingeschränkt und zeitweise sogar verunmöglicht wurden, vorher war das aber keine Info  in Berichten zur Situation des angeblich komplett isolierten Gaza-Streifens.

Das erste ist jedoch etwas völlig Neues. Oft wurde darauf hingewiesen, dass es das größte Massaker an Juden seit dem Holocaust ist, und nicht nur in diesem Vergleich liegt eine Verbindung zwischen beidem, es folgte auch derselben Intention. Einen Tag nach dem Terrorangriff erklärte der politische Chef der Hamas, Ismail Haniyeh, “dass bewaffnete palästinensische Kräfte beabsichtigen, die in Gaza begonnene Schlacht in die Westbank und nach Jerusalem zu tragen” (Arab News); am 1.11.2023 erklärte Ghazi Hamad, ein anderer Hamas-Führer, im libanesischen Fernsehen, dass “sie den Angriff vom 7. Oktober wiederholen würden, immer und immer wieder, bis Israel vernichtet ist” (MEMRI). Ebenso hat Yahya Sinwar, der als “Mastermind” des 7. Oktober gilt und dies auch von sich selbst behauptet, in einer Videobotschaft bekräftigt, dass der 7. Oktober nur eine “Generalprobe” sei (Mena-watch); seine noch ein halbes Jahr zuvor mit verbalradikaler Apokalyptik gefüllten Reden hatten bereits einen konkreten Plan als Hintergrund. Der Kern dieses Plans fiel den Israels bereits im Gaza-Krieg  2014 in die Hände, er konnte aber damals nicht realisiert werden: “Hunderte Hamas-Kämpfer sollten gleichzeitig durch Tunnel ins Grenzgebiet rund um Gaza  eindringen, dort sechs Ortschaften angreifen, so viele Menschen wie  möglich töten und zahlreiche Zivilisten in den Landstrich verschleppen.  Das teilten israelische Militärs der Webseite nrg.co.il mit.” (Welt).

Die Angreifer vom 7.10. profitierten davon, dass Israel Truppen von der Gaza-Grenze ins Westjordanland abgezogen hatte, aus Gründen und unter Umständen, die wohl erst später wirklich ganz geklärt werden. Außerdem war es ein jüdischer Feiertag und die israelische Gesellschaft befand sich zudem in einer tiefen politischen Krise mit der Regierung Netanyahu. Die vorhandenen Grenzsicherungen wurden innerhalb einer halben Stunde ausgeschaltet und dabei die Wachtürme “mit Anti-Panzer-Raketen und von Drohnen abgeworfenen Mörsergranaten beschossen.” (Croitoru, S. 161).
 

 

Terrorangriff der Hamas >Wikipedia

 

 

 

 

 

 

 

 

Hamas Leader Haniyeh: Battle “will spread to West Bank, Jerusalem”, 8.10.2023, >Arab News

Hamas Official Ghazi Hamad: Wie Will RepeatThe October 7 Attack, Time And Again, Until Israel Is Annillihated, 1.11.2023, >MEMRI. Video mit engischen Untertieln

Yahya Sinwar: 7. Oktober war nur Generalprobe, 2.12.2023, >mena-watch
Hamas+ Leader in Gaza Yahya Sinwar [...] In His Own Words [...], Palestinians / Special Dispatch No. 11037, 22.12.2023, >MEMRI; eine Sammlung von Videos und Zitaten seit 2021 mit englischer Übersetzung.

Kilometerlange Tunnel, gegraben mit der Hand, von Gil Yaron, 25.7.2014,  >Welt

Droitoru, Hamas..., s.o.

Nach Beginn des Angriffs kurz nach 6 Uhr kamen israelische Truppen um 13:30 erstmals zum Einsatz, die Rückeroberung der Stadt Sderot erfolgte aber erst 20 Stunden nach dem Angriff. Nur in einigen Orten waren die vorhandenen Bereitschaftskräfte noch so stark geblieben, dass sie erfolgreiche Abwehr leisen konnten. Dieser Amgriff war lange generalstabsmäßig geplant worden, die Grenzanlagen wurden an 30 Stellen (Die Zeit) durchbrochen, insgesamt 3000 Hamas-”Kämpfer” waren im Einsatz, eine Elitetruppe, abgesondert von den anderen, die davon nichts wussten und später behaupten konnten, sie hätten mit all dem nichts zu tun gehabt. Die Ausschaltung der militärischen Ziele an der Grenze galt der Vorbereitung eines Angriffs auf über 20 landwirtschaftliche Siedlungen und die Städte Sderot und Ofakim. “Die Auswahl der Ziele deutete darauf hin, dass es nicht nur eine rein militärische Operation war, sondern auch ein gezielter terroristischer Angriff gegen die Zivilbevölkerung.” (Croitoru, S. 162). Gemeint ist damit: Es war keineswegs so, dass die Hamas-”Kämpfer” nach ihrem Eindringen auf israelisches Gebiet irgendwie von sich aus auf alle schossen, die sie sahen. Möglich, dass sie von dem Musikfestival Nova beim Kibbuz Re’im vorher nichts wussten und dann schnell “ihre Chance” erkannten. Ferner folgten noch “Horden marodierender Zivilisten” (Croitoru, S. 177, vgl. auch S. 167) aus Gaza den Terror”kämpfern” um in den überfallenen Dörfern noch das Werk zu vollenden. Ein den Israelis in die Hände gefallener Angriffsplan der Qassam-Brigaden - die bewaffnete Truppe der Hamas - “enthielt die ausdrückliche Anweisung, möglichst große menschliche Verluste zu verursachen.” (Croitoru, S. 180). Die genaue Planung beinhaltete auch die Ausrüstung mit bis ins Detail spezialisierten Waffen und Gerät, darunter auch spezielle Sprengstoffvorrichtungen, mit denen die Schutzräume aufgebrochen werden sollten (Croitoru, S. 165).

Die terroristische Planung beinhaltete, dass das Massaker von “Kämpfern” durch bodycams gefilmt und ins Web gestreamt wurde. Offenbar hat die Hamas dann in aller Schnelle eine “Doku” zusammengeschnitten und ins Netz gestellt (Die Zeit). Man muss aber wohl unterscheiden: Das Video der militärischen Führung der Hamas beschränkte sich weitgehend auf “militärische” Operationen (Croitoru, S. 179), die Verbrechen an der Zivilbevölkerung wurden von den “Kämpfern” selbst ins Netz gestellt. Daraus sowie aus anderen Videoquellen (Überwachungskameras, Handys sowohl von Israelis als auch von Gaza-Zivilisten oder Hamas-Leuten) hat die israelische Armee dann ebenfalls eine Dokumentation zusammengestellt, die Politiker:innen, Journalist:innen u.a. gezeigt wurde (vgl. den Bericht auf Belltower) und Entsetzen auslöste über die Bestialität der Taten bis hin gegen Kinder. Fotos und Filmaufnahmen von einem blutverschmierten Kinderbett gingen dann auch extra noch durch die Medien. Die Aufnahmen zeigen eine Mischung aus geplantem Vorgehen und spontanen Tatelementen von Tätern, die sich im Blutrausch befanden.
 

 

Der Tag, der nicht enden will. Eine Rekonstruktion des 7. Oktober 2023, 1.2.2024, von Omid Reaee, >Zeit Online. Die umfrangreichste analytische Darstellung im Web

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Nicolas Potter: Film des Hamas-Massaker - 47 Minuten des Terrors, 7.12.2023, >Belltower

 

Das macht den größten Unterschied zum Holocaust aus: Er wurde zwar propagandistisch angekündigt, wie am 30.1.1939, als Hitler erklärte:

    “Ich will heute wieder ein Prophet sein: Wenn es dem internationalen Finanzjudentum in und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa.”

Und am 9.5.1943 offenbarte Goebbels dann in der Wochenzeitung Das Reich

    “Kein prophetisches Wort des Führer bewahrheitet sich mit einer so unheimlichen Sicherheit und Zwangsläufigkeit wie das, wenn das Judentum es fertigbringen werde, einen zweiten Weltkrieg zu provozieren, dieses nicht zur Vernichtung der arischen Menschheit, sondern zur Ausrottung der jüdischen Rasse führen werde.”

Mit der Umformulierung des Originals durch die “arische Rasse” verschäfte Goebbels sogar die Aussage. Aber das war trotzdem noch die politisch-propagandistische Ebene. Die reale Umsetzung dieser “Prophezeiung” wurde jedoch penibel verheimlicht. Die Wehrmachtsführung erließ ziemlich früh schon einen Befehl an alle Soldaten, dass man sich nicht als Freiwilliger (sic!) für Hilfsdienste bei Erschießungen durch die SS in der Sowjetunion zur Verfügung stellen oder, viel schlimmer noch,  Fotos davon machen durfte. Das macht schon deutlich, dass sich das natürlich nicht verheimlichen ließ, das Militär war die größte Informationsbörse vom europaweiten Geschehen im 2. Weltkrieg. Und so war die Entscheidung für die Verlagerung des Völkermordes (alle Opfergruppen eingeschlossen) in zu errichtende abgeschlossene Vernichtungslager die Antwort darauf. Noch am Ende des Krieges wurden bei der Räumung der KZs die Krematorien und andere Beweise vernichtet, es sollten keine materiellen Belege für das verübte Verbrechen nach dem Krieg bleiben. Natürlich gab es trotzdem jede Menge Beweise - mehr als der erste Nürnberger Prozess überhaupt bewältigen konnte.
 

 

Adolf Hitler, Erklärung der Reichsregierung vor dem Deutschen Reichstag, 1.9.1939, >100(0) Dokumente

 

Joseph Goebbels: Der Krieg und die Juden, Leitartikel in: Das Reich, 9.5.1943, der Auszug ist online verfügbar auf >Chronologie des Holocaust

 

Armeeoberkommando 6, Weisung betreffend Anwesenheit von Soldaten bei Exekutionen durch den SD, 10.8.1941, In:  Hamburger Institut für Sozialforschung (Hrsg.): Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944. Ausstellungskatalog. Hamburger Edition 1966, 2. Aufl. 1967, S. 75.

Die Durchführung der massenhaften Ermordung ganz normaler Menschen - keine Partisanen, wie es der “Partisanenbefehl” der Wehrmacht mit einer scheinbar militärischen Rechtfertigung überdecken wollte - war selbst für die SS-Führungsoffiziere keine einfache Sache. Davon zeugt die Posener Rede von Heinrich Himmler vom 5.8.1943, in der er auf den Unterschied zwischen Propaganda und ihrer Realisierung eingeht: 

    “Es gehört zu den Dingen, die man leicht ausspricht. – ’Das jüdische Volk wird ausgerottet’, sagt ein jeder Parteigenosse, ’ganz klar, steht in unserem Programm, Ausschaltung der Juden, Ausrottung, machen wir.’ [...] Von allen, die so reden, hat keiner zugesehen, keiner hat es durchgestanden. Von Euch werden die meisten wissen, was es heißt, wenn 100 Leichen beisammen liegen, wenn 500 daliegen oder wenn 1000 daliegen. Dies durchgehalten zu haben, und dabei – abgesehen von Ausnahmen menschlicher Schwächen – anständig geblieben zu sein, das hat uns hart gemacht. Dies ist ein niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt unserer Geschichte.“

“Ein niemals zu schreibendes Ruhmesblatt” macht deutlich, wie sehr der Widerspruch zwischen der Umkehrung der Moral um 180° durch die Nazis - im Begriff “anständig” verkörpert - sich noch von der Moral eines großen Teils der eigenen Bevölkerung, ja sogar der Parteigenossen, unterschied. Es ist etwas anderes, die Vernichtung anzudrohen oder sogar anzukündigen und deren Verwirklichung einzugestehen durch offenen Nachweis.

Eine gewisse Parallele zu damals gibt es andererseits bei der Hamas: Der militärische Flügel, die Qassam-Brigaden, wollen so moralisch sauber bleiben wie damals die Wehrmacht, doch in deren Gefolge gab es die SS und auch bei der Hamas das Pendant dazu  um auf dem zuvor  millitärisch gesicherten Terrain dann zum Massenmord an Zivilisten zu schreiten. Im Unterschied zu damals konnte sich die Hamas aber offenbar sicher sein, dass ihre Tat nicht den Sturm weltweiter Empörung hervorrufen würde, den sie verdient.
 

 

Rede des Reichsführers SS bei der SS-Gruppentagung in Posen am 4.10.1943, S. 25, >100(0) Dokumente

 

 

 

vgl. Raphael Gross: Anständig geblieben. Nationalsozialistische Moral. Frankfurt/M. (Fischer) 2010.

 

 

 

Und hier tritt der totale Unterschied zu damals zu Tage:  Die Verbrechen wurden durch die Hamas am 7. Oktober nicht verheimlicht, sondern im Gegenteil während ihrer Ausführung der Welt vorgeführt. Bislang ist dies durch die heutige Technik überhaupt erst möglich Gewordene nur von einzelnen Attentätern/Terroristen mit Amokläufer-Mentalität bekannt, wie dem in Christchurch in Neuseeland in einer Moschee oder dem in Halle, der jedoch sein eigentliches Ziel, den Massenmord in der Synagoge, nicht verwirklichen konnte.

Diese Tatsache der erstmals geplanten und durchgeführten Live-Übertragung und Videodokumentation eines Massenmordes ist ein Novum in der Weltgeschichte, nicht nur aufgrund der technischen Möglichkeit dazu. Es beweist auch, dass die Täter keine moralischen Skrupel hatten, ihre Taten weltöffentlich zu machen. Die Hamas konnte diese doppelte Ungeheuerlichkeit - das Verbrechen und dessen Vorführung - unternehmen, weil sie sich einigermaßen sicher sein konnte, nicht von der UN bestraft zu werden. Sie ist in keine der Kategorien eingestuft worden, die eine Ächtung der Organisation und konkretere Bestrafung der Täter und Verantwortlichen auf UN-Ebene sofort  möglich gemacht hätte. Ihre Rechtfertigung für die Tat ist die pauschale Rechtfertigung zur Ermordung perspektivisch aller Israelis, wie sie von Hamas-Vertretern mehrfach geäußert wurde, zuletzt durch “viele weitere 7. Oktober” usw. (s.o.). Schon die Auslöschung des Staates Israel in der Charta der Hamas, propagandistisch immer wiederholt, beinhaltet zwangsläufig entsprechende Konsequenzen für seiner Bewohner.

Das sind Vernichtungsphantasien, die die Hamas selbst nicht realisieren kann. Anders sieht es mit dem Iran aus, dessen politische Führer oft genug die Vernichtung Israels propagiert haben und Israel inzwischen mit militärischen Hilfskräften und Stellvertretern von der Hizbollah im Libanon über das befreundete Syrien Assads bis zu den Huthi im Jemen eingekreist haben. Als sunnitische Organisation war die Hamas ein Sonderfall in diesem Bündnis aufgrund der bestehenden direkten Konfrontation mit Israel.
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Omid Reaee: Iran und Israel - eine Geschichte des Hasses, 31.10.2023, >Zeit Online

Kriege und Gewalt kann man schwerlich als Teil der Zivilisation verstehen und doch waren und sind die Bemühungen um deren Einhegung Ausdruck eines Zivilisierungsprozesses, so sehr dieser auch immer wieder missachtet wurde, und eines Bemühens um Frieden, so sehr dieser immer auch wieder gescheitert ist. Doch selbst die Missachtungen der eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen und vor allem die dabei verübten Verbrechen wurden bislang nicht ostentativ zur Schau gestellt. Es gab Fotografien davon durch Beteiligte oder Zeugen sowie auch Berichte, die je nach dem später in der Presse erschienen sind, jedoch keine der Öffentlichkeit von den Tätern selbst oder den hinter ihnen stehenden Verantwortlichen unmittelbar nach der Tat präsentierte “Trophäen”. Ein Grenzfall war gewiss der koloniale Kontext, wo dies dem sehr nahe kommen konnte.

Wir sind hier aber in einem Kontext, wo alle sich auf das internationale Recht berufen und dieses  zugleich missachten bzw. missbrauchen, jeder auf seine Art: Die Hamas und ihre Unterstützer, indem sie für die Hamas zur Rechtfertigung das Widerstandsrecht missbrauchen und dabei alle auch damit verbundenen völkerrechtlichen Regelungen missachten; die Weltgemeinschaft in Gestalt ihrer Organisation, der UNO, die immer noch nicht willens ist, die Hamas völkerrechtlich einerseits als die Terrororganisation einzustufen, die sie ist, und andererseits auch als die Quasi-Regierung eines Staates, die sie ebenfalls war; und die selbst den Terroranschlag vom  7.10.2023 nicht in seiner präzedenzlosen Dimension der Tat und ihrer Zurschaustellung  erkennen und folglich nicht explizit, d.h. ohne kontextuelle Relativierungen, verurteilt und somit Verständnis dafür zeigt - nicht Einverständnis, aber Verständnis.

Fazit:
Der neue Zivilisationsbruch der Tat vom 7. Oktober besteht insgesamt darin, dass dieses Mal, so präzedenzlos wie damals der Holocaust, erstmalig ein Massenmord im wahrsten Sinne des Wortes unter den Augen der Weltöffentlichkeit verübt werden konnte, ohne dass die Weltöffentlichkeit in ihrer Mehrheit nach ihren eigenen moralischen, politischen und rechtlichen Maßstäben darauf reagiert. Die Hamas-Führer können in den Medien problemlos mit weiteren “7. Oktobern” drohen bis zur Auslöschung Israels, ohne dass dies irgendwelche Konsequenzen nach sich zieht. Die UNO respektiert die Regeln nicht, die sie sich einst mit ihrer Gründung selbst gesetzt hat, verurteilt nicht den Täter, der nicht belangt wird, sondern denjenigen (bislang nur politisch), der zur Verteidigung darauf reagiert, weil er nicht nach diesen Regeln handelt, die die Weltgemeinschaft selbst missachtet.


 

 

++ Aktuell: Haftbefehle, Vorbereitung der Anklage vor dem Internationalen Strafgerichtshof? ++

20.5.2024/21.5.2024

Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag, Karim Khan,  hat Haftbefehle für den israelischem Regierungschef Netanyahu und den Vereidigungsminister Gallant sowie für die Hamas-Führer Sinwar, al-Masri und Haniyah beantragt. Dies bedeutet, dass der ehemalige britische Jurist erstmals die Hamas-Führung auf gleicher Ebene in die Vorwürfe auf Kriegsverbrechen einbezieht. Nun wird es darum gehen, wenn es zu dem von ihm gewünschten Verfahren kommt, wie Ermittlungen dazu durchgeführt werden können und nach welchen Kriterien welche Taten bewertet werden. Die Richter des IStG (engl. ICC) müssen die Haftbefehle ausstellen für das Ermittlungsverfahren im Hinblick auf eine Anklageerhebung,

Die auf den ersten Blick gleichgewichtige Anklage - im Sinne eines “Anfangsverdachts” - lässt aber nach den bisherigen Informationen Fragen offen: Wenn zwei israelische Regierungsmitglieder angeklagt werden sollten, so würden sie dies für Taten bzw. die Verantwortung dafür in Ausübung ihres Amtes, in das sie gewählt wurden. Dies würde indirekt ganz Israel treffen und tut es insofern schon, als es eine kollektive Solidarisierung mit Netanyahu auch von seinen Gegnern gibt, soweit, dass dies sogar seine politische Karriere retten könnte (cf. Politico). Auf der anderen Seite würden die drei Hamas-Führer aber als Individuen angeklagt, während die Hamas selbst weiterhin noch nicht als terroristische Organisation gilt.

Dann ist der Wunsch des Chefanklägers, “dass das Völkerrecht für alle gilt”, natürlich löblich, aber eine Schimäre, die das Desaster des Völkerrechts und des Strafgerichtshofs selbst kaschiert: Drei von fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats erkennen den ICC gar nicht an: die USA, Russland, China. Auch viele andere Staaten tun dies nicht, darunter Israel und die Türkei. Interessanterweise tut dies aber die Palästinensische Autonomiebehörde, natürlich um einen Kontrapunkt gegen Israel zu setzten.  Nun wird man sehen, wie sie auf die Anklage gegen die Hamas reagiert. Nach dem 7. Oktober bedauerte PA-Präsident Abbas zunächst die Gewalt gegen Zivilisten auf beiden Seiten, betonte – wenige Tage danach – das Recht auf Widerstand gegen die israelische Besatzung und bedauerte später vor allem die Folgen für Gaza mit einer Schuldzuweisung an die Hamas für diese zweite Nakba. Andere Führungspersonen der Fatah rechtfertigten klarer den 7. Oktober als “legitime Widerstandsaktion”. Ein weiteres und größeres Problem ist die offenbar massive Sympathie für die Hamas im Westjordanland angesichts der immer radikaleren Besatzungs- und Siedlungspolitik (cf. PCPSR).

Dass Israel den IStGH nicht anerkennt, kann man natürlich kritisieren, aber es ist auch an die Asymmetrie der Kriegführung zu erinnern, die oben angesprochen wurde. Es ist verständlich, im Sinne von nachvollziehbar, dass man sich als Staat in einer Konfliktregion nicht anklagen lassen will, während der Gegner überhaupt nicht belangt wird. Wird sich das nun ändern und wie? Wie sollen für den Anklagepunkt der gezielten Angriffe auf Zivilisten diese identifiziert werden, wenn es keinen Kombattantenstatus der Hamas gibt und eine Unterscheidung nur möglich ist, wenn einer mit der Waffe in der Hand angetroffen und dies auch dokumentiert wird?

Die Kritiken auch außerhalb Israels, dass durch die Parallelisierung der Anklagen (im o.g. Sinne der Voranklage) eine Gleichsetzung suggeriert werde, übersehen offenbar willentlich, dass die Anschuldigungen ganz unterschiedlich formuliert sind, und darin steht nichts vom Genozid-Vorwurf an Israel (cf. ICC). In einem hochinteressanten Interview auf CNN äußert sich Khan auch explizit dazu.

Wer die “Gleichsetzung” von Hamas und Israel kritisiert, verkennt die Bedeutung, dass hier zum ersten Mal überhaupt Vertreter der Hamas auf die Anklagebank kommen sollen. Alleine der Titel in der Printausgabe und  Untertitel online des Kommentars in der taz vom 21.5. bringt jedoch das politische Dilemma einer Anklage auf den Punkt: “Hamas wird sich nicht ändern - Israel schon.” Israel wird, wenn es denn soweit kommen sollte, weiterhin auf gute Beziehungen zur EU angewiesen sein, die Hamas kann, wenn sie nicht als Ganzes angeklagt wird durch Einstufung zur Terrororganisation, auch mit neuen Kadern grundsätzlich so weitermachen wie bisher, wenn auch unter neuen Rahmenbedingungen, aber international von verschiedenen Staaten dafür unterstützt.

Deswegen ist die parallele Anklage in Wirklichkeit ungleichgewichtig. So wie es aussieht, würde ja sogar das UNRWA mit der Hamas weiterhin im Gaza-Streifen zusammenarbeiten, wenn dies nicht durch Israel verunmöglicht wird.
 

 

Haftbefehle vor IStGH: “Unterstreichen, dass Völkerrecht für alle gilt.” >tagesschau, von Kolja Schwarz. 20.5.2024

Karim Khan >Wikipedia

Statement of ICC Prosecutor Karin A.A. Khan KC: Applications for arrest warrants in the situation in the State of Palestine, 20.5.2024, >ICC. Text und Video Erklärung von Khan.

The International Criminal Court just saved Benjamin Netanyahu, >Politico, 20.5.2024, by Jamie Dettmer.

 

 

 

 

Arab News: Abbas urges „immediate end to agrression“ against Palestinians, 12.10.2023, >Arab News
Foundation for Defence of Democraties: Anticipating Blinken Visit, Abbas Belatedly Condemns Violence Agains Civilians, 13.10.2023, >FDD
The Times of Israel: Senior Fatah official justifies Oct. 7 massacre as “defensdive war” against Israel, 26.11.2023, >Times
MEMRI: Palestinian Officials Justify Hamas’ October 7 Massacre..., 6.12.2023, >MEMRI
The Arab Weekly: Fatah accuses Hamas of having cause a „catastrophe“ with October 7 attack, 16.3.2024, >Arab Weekly

Palestinian Center for Policy and Survey Research, Public Opinion Poll N0. 90, 13.12.2023, >PCPSR

Exclusive Interview: ICC prosecutor seeks arrest warrants agains Sivwar and Netanyahu für war crimes over October 7 and Gaza; textuelle Zusammenfassung und Kontext by Ivana Kottasovà / Magdalena Araujo; Video-Interview* 29:46, 20.5.2024 >CNN
*Es gibt 2 Videos: einen kurzen Ausschnitt am Anfang und das ganze weiter unten. Dort findet sich die Passage zur Genozid-Frage   4:44 - 6:02.

Lisa Schneider: “Widerstand” war Kriegsverbrechen. Gegen die Führung der Hamas und auch gegen Netanjahu und Galant hat der IStGh Hafbefehle beantragt. Die Hamas wird sich nicht ändern - Israel schon, 21.5.2024 >taz

 

Auf der anderen Seite müssen aber auch die israelische Regierung und die sie vorbehaltlos Unterstützenden anerkennen, dass das legitime Recht auf Verteidigung - und das heißt hier: Verhinderung von Wiederholungstaten - und das damit verbundene legitime Ziel der militärischen und politischen Ausschaltung der Hamas kein Freibrief sein kann, in Gaza den Krieg zu führen wie man will, auch unter Missachtung des internationalen humanitären Rechts.

Zumindest die Behinderung humanitärer Hilfe in den vergangenen Monaten ist jedoch offensichtlich schon durch die Berichterstattung öffentlich-rechtlicher Medien. Dass die Hilfe aus der Luft oder über eine extra von den USA installierte Landungsbrücke kommen muss, weil die vorhandenen Grenzübergänge nicht ausreichend genutzt werden können, zeigt dies auf ihre Weise. Ob dies eine Strategie des Aushungerns war, wie Khan meint, ist eine der Aufgaben einer Ermittlung.

“Nobody is above the law” - diese Proklamation Khans in seiner Begründung steht schon bisher in krassem Gegensatz zum Geschehen in der Welt, wenn mit dem “Gesetz” der Respekt vor dem Völkerrecht und dadurch auch die Autorität des ICC gemeint sind, denn ein Gesetz ist nur soviel wert, wie seine Respektierung durchgesetzt werden kann. Dies gilt nicht einmal für die o.g. drei führenden Nationen der Welt und ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats. Es wird auch nur dann gegen die drei Hamas-Führer zur Anwendung kommen, wenn sie entweder noch vor Ort gefasst werden (theoretisch nur für zwei von ihnen möglich, wenn sie denn noch dort sind) oder der Staat, der sie beherbergt, wie im Fall von Haniyah war dies bislang Qatar, ausliefert. Doch keiner der Staaten des Nahen und Mittleren Ostens mit Ausnahme Jordaniens erkennt den ICC überhaupt an.

Was dabei herauskommen könnte, ist folgendes Szenario: Dass, wenn alle drei Hamas-Führer den Krieg persönlich überleben, sei dann beim entsprechenden Ausgang des angestrebten Gerichtsverfahrens in Abwesenheit verurteilt werden, während - Ungleichbehandlung auch hier -  israelische Regierungsmitglieder nicht unbehelligt bleiben könnten.

Mein Kommentar:

1.- Das Beste für Israel wäre, selbst zur Aufklärung beizutragen und entsprechende Konsequenzen daraus zu ziehen, anstatt wie durch die bisher erfolgten Reaktionen darauf den Verdacht weiter zu erhärten, dass die Anschuldigungen stimmen könnten, und sich dadurch weiter in die Isolation zu begeben. Die Berufung darauf, die einzige Demokratie in diesem Konflikt (und im Nahen Osten überhaupt) zu sein, wie jetzt wieder betont, gilt nur dann, wenn auch der Rechtsstaat unter Beweis gestellt wird.

2.- “Nobody is above the law” gilt nicht einmal für die Vereinten Nationen, wenn man sich als Mitgliedstaat aussuchen kann, ob man die Charta, die man unterschrieben hat, auch respektiert und damit auch den Internationalen Strafgerichtshof. Das Mindeste, was die UN und der mit ihr verbundene Gerichtshof jetzt in dieser Situation dafür tun können, ist,  die Ermittlungen, soweit sie von außen überhaupt ausreichend geführt werden können, tatsächlich neutral durchzuführen und zu bewerten und die Hamas als Terrororganisation einzustufen mit allen damit verbundenen Konsequenzen auch für jene, die die Hamas weiterhin unterstützen.

22.5.2024

Fortsetzung folgt...

 

 

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