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Jacobson Bild

Israel Jacobson /1768-1828)
Wikimedia Commons

Zur Geschichte der Israel-Jacobson-Schule
in Seesen

 

Rolf Ballof

Literatur zur Geschichte der Jacobsonschule

Erschienen in: Die Glocke, Zeitschrift der Ehemaligen der Jacobsonschule, 2005, S. 12 - 18

 

Seit den 80er Jahren hat – parallel zu den Entwicklungen in der Historiografie – die Besinnung auf die Geschichte des eigenen Lebens, des eigenen Herkommens und der sozialen Umwelt zugenommen.  Je ungewisser die Zukunft ist, je unübersichtlicher die Gegenwart sich darbietet, desto weniger sind die Gewissheiten, auf die man sich verlassen kann. Es beginnt eine Suche nach Gewissheiten in der Vergangenheit.

Die Nachkriegszeit war noch getragen von der Selbstverständlichkeit der Gewissheiten, die zwar einen Bruch erlebt hatten, aber diesen Bruch durch Anknüpfen an die Gewissheiten vor dem Bruch, der so zu einem Unfall auf dem richtigen Weg wurde, heilen wollte. Die vormals gesellschaftlich verabredeten Werte sollten wieder hergestellt werden. Kontinuität sollte gewahrt bleiben. Erst die 70er Jahre machten deutlich, dass ein Anknüpfen an Vorheriges nach dem Bruch nicht möglich war. Die gesellschaftliche Entwicklung forderte neue Einstellungen; das brachte Unsicherheit mit sich, neue Formen des Zusammenlebens waren zu finden, neue Werte traten z.T. an die Stelle der alten (Wertewandel), die Verlässlichkeit der Strukturen schwand. Das alles führte zur Besinnung auf die Geschichte.

So auch an der Jacobsonschule, wofür die Schüleropposition der 60er und 70er Jahre – dokumentiert in der Schülerzeitschrift/ Schulzeitschrift „Glocke“ – bedeutende, über den Raum Seesen sichtbare Zeichen setzte.

Eine Beschäftigung mit der Geschichte der Schule bezieht sich auf folgende Bereiche:

  1. persönliche Erinnerungen von ehemaligen Schülern;
  2. Geschichte der Schule im engeren Sinn;
  3. Bewertung der Lebensleistung von Israel Jacobson, vor allem seine Stellung in der Emanzipationsbewegung;
  4. Die Architektur und Ausstattung der Schule, darunter auch die Diskussion um die Einrichtung der ersten Orgel in einer Synagoge.

In den folgenden Ausgaben der Glocke sollen die einzelnen Bereiche vorgestellt werden; in dieser Ausgabe soll die Literatur zur Geschichte der Schule im engeren Sinn vorgestellt werden.

Zum Jubiläum erschienen drei Bücher zur Geschichte der Schule (1) und eine kleinere Darstellung zur Geschichte der Jacobson- Stiftung (2). Im Folgenden sollen die vier Veröffentlichungen  vorgestellt werden.(3)

 

Meike Berg 41205703

 

Meike Berg
Jüdische Schulen in Niedersachsen
Tradition – Emanzipation – Assimilation
Köln 2003

 

 

 

Die Festschrift enthält folgende Teile:

  1. Diese Arbeit ist aus einer Promotion am Bereich für Erziehungs- und Sozialwissenschaften der Universität Hildesheim – bei Professor Rudolf Keck - hervorgegangen.

Bei der Erläuterung ihres Forschungsansatzes begreift M. Berg die jüdische Bildungsgeschichte am Beispiel der beiden Schulen als wesentlichen Strang, der zur Emanzipation der Juden führen sollte. Gleichzeitig wird die Emanzipation der Juden als Teil des Wandels von der ständisch-feudalen zur bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft definiert.

Hier deutet sich schon die Frage an, ob die Juden Subjekte oder Objekte der Emanzipation gewesen seien. Sie schließt sich letztlich der Auffassung von Hans-Michael Bernhardt (4) an, nach dem die Emanzipation der Juden ein Mitnahmeeffekt des Wandels zur bürgerlichen Gesellschaft war. Das kann man so sehen, müsste jedoch auch die Rolle der zu Emanzipierenden in dem Prozess würdigen. Einige Hinweise dazu:

  1. So einfach – wie dargestellt – war auch die Emanzipation in Frankreich nicht. Die Nationalversammlung unterschied die Juden aus der Gironde und den ehemals päpstlichen Gebieten um Avignon und Carpentras durchaus von den Juden des Elsasses und Lothringens und behandelte sie unterschiedlich. Die Diskussion um die Emanzipation war sehr umfangreich, intensiv und kontrovers. Jeromes Emanzipation im Königreich Westphalen z.B. ging seinem Bruder Napoleon entschieden zu weit.
  2. Nicht herangezogen wird die Rolle von Moses Mendelssohn bei der Abfassung der Schrift „Über die bürgerliche Verbesserung  der Juden“ (1781) durch Christian v. Dohm und seine Mitwirkung bei dem Toleranzedikt Josephs II. ebenfalls von 1781.
  3. Nicht in Betracht werden die innerjüdischen Bildungsanstrengungen gezogen, die die herkömmliche Talmud-Toraschulen um eine allgemeine Bildung erweitern wollte, wobei sich Naphtali Hartwig Wessely (5) auf frühere Lerninhalte jüdischer Bildung bezog, die durch die Stellung der Juden in ihren Umgebungsgesellschaften verschüttet waren.

Breiten Raum nimmt die Diskussion des Begriffes Emanzipation ein. M. Berg entscheidet sich – nach Darlegung des Forschungsstandes der verwendeten Begriffe (u.a. Assimilation, Annäherung, Aufgehen, Anpassung, Amalgamierung, Eingliederung, Verschmelzung und Akkulturation) für den Begriff der „gesellschaftlichen Assimilation“, weil mit ihm die Gefahr der Verlustes kultureller Eigenständigkeit deutlich gefasst werden kann. Problematisch ist seine Verwendung – auch der konotierten Gefahr wegen – für die Zeit der Gründung der Jacobsonschule deswegen, weil den Intentionen Jacobsons damit eine Wirkung unterstellt wird, die erst später virulent, für ihn aber nicht ahnbar wurde. Auch scheint die Entscheidung für den Begriff Assimilation nicht aus dem Forschungsstand hergeleitet, sondern eher dezisionistisch.

Neue Erkenntnisse zur Biografie Israel Jacobsons legt M. Berg nicht vor. Sie referiert umfassend und zuverlässig den bisher bekannten Bestand. Welchen geistigen Einflüssen Jacobson Raum gab, welche Reisen er machte - z.B. in die Niederlande und Frankreich -  und welche Eindrücke er dabei erhielt, wird nicht thematisiert. Sein Verhältnis zur französischen Emanzipationsbewegung, seine Begegnungen mit den Sepharden in Südfrankreich, seine Bekanntschaft mit dem höchst einflussreichen Abbé Gregoire, der übrigens auch  Seesen besuchte, seine Wahl der sephardischen Sprache für den Synagogengottesdienst, soweit er nicht in Deutsch abgehalten wurde, kurz: Jacobsons Beeinflussung durch die französische Emanzipationsbewegung wird nicht belichtet. Damit werden die Abkehr vom Braunschweigischen Herzog, die Zuwendung zu Jérome (1806) und Jacobsons Aufblühen in der Zeit mit Jérome nicht in ihren inneren Zusammenhängen erkannt und für die Seesener Gründung nicht verwandt. Statt dessen wird wieder einmal – wie in der Literatur üblich - der Einfluss Moses Mendelssohns mehr behauptet als nachgewiesen, obwohl Wege der Argumentation dafür – auch über Naphtali Hartwig Wessely (s.o.) mit seinem pädagogischen Programm – offen stehen.

Gelungen ist die Darstellung der Seesener Gründung Sie ist umfassend aus den Akten erarbeitet, neue Erkenntnisse gewinnt M.Berg vor allem in der Darstellung der Finanzierung der Gründung und ihrer Ausstattung. Die Auseinandersetzungen Jacobsons mit der Stadt ist detailliert dargestellt, M. Berg vermag auch die Motive der Stadtregierung gegen eine Gründung und vor allem gegen den Status der Schule zu würdigen. Schwieriger wird es bei der Darstellung des Charakters der Schule. Zwar werden als Wurzeln Campes Konzept der Industrieschule und die Pädagogik der Philanthropen genannt, eine Verbindung zwischen diesen beiden Konzepten mit der Konzeption und Wirklichkeit der Schule ist nicht einmal im Ansatz versucht, wenn auch die Diskussion um die Zielsetzung der Schule (allgemeine und höhere Ausbildung {Direktor und Lehrer}, vs. Elementarausbildung die zur Aufnahme eines handwerklichen Berufes befähigen sollte {Jacobson}) umfassend und differenziert mit durchaus neuen Einsichten dargestellt wird.

Die weitere Geschichte der Schule behandelt M. Berg chronologisch in folgenden Kapiteln (6):

  1. Die Jacobson-Schule zwischen Industrie- und Elementarschule;
  2. Die Jacobson-Schule – Über die Bürgerschule zur Realschule;
  3. Die Jacobson-Schule – Das finanzielle Aus und die Verstaatlichung.

 

Eingebettet in die Chronologie, verfolgt M. Berg folgende Komplexe in ihrer Entwicklung:

Die Ordnung der Schule (Schulgesetze), ihre finanzielle Lage und die Baugeschichte;

Hier kann sich M. Berg auf eine gute Quellenlage stützen. Unzweifelhaft können ihre Ergebnisse als gesicherte neue Erkenntnisse – vor allem, was die finanzielle Lage der Schule angeht - gewertet werden. Leider trifft das auf die Behandlung der Verstaatlichung der Schule nicht in gleichem Maße zu; aber die Verstaatlichung der Schule liegt nicht mehr in ihrem Untersuchungszeitraum, sondern an seinem Ende.

Die Einrichtung der Fächer, ihre Stundenanteile, ihre Funktion für die formellen Qualifikationen und passim auch die Berufswahl der Absolventen;

M. Berg erhebt umfassend den Bestand der Fächer, ihrer Stundenausstattung und ihre Kombinationen, die für das Erreichen formaler Qualifikationen von Nöten ist. Die Verhandlungen der Schule und des Kuratoriums wegen der Militärberechtigung („Einjähriges“ ab 1870) ist differenziert und die Interessen und Motive der beteiligten berücksichtigend dargestellt. Hervorzuheben ist hier, wie auch die Stadt Seesen im Interesse ihrer jungen Bürger für die Militärberechtigung eintrat.

Leider untersucht M. Berg nicht die Lehrinhalte der Fächer, nur für die Zeit von 1867 bis 1871 macht sie einige Bemerkungen – den Bericht Arnheim für diese Zeit zitierend (S. 166) – dazu. Das ist deswegen bedauerlich, weil die leitende Frage ihrer Untersuchung „Tradition – Emanzipation – Assimilation“ ohne eine Untersuchung der Lehrinhalte nicht wirklich beantwortet werden kann. Die Quellen für eine Untersuchung der Lehrinhalte sind vorhanden (Schulbuchlisten). Ärgerlich ist eine Vernachlässigung der Lehrinhalte  vor allem, wenn unter der angegebenen Fragestellung auch die Inhalte der „jüdischen“ Fächer (Talmud, Hebräisch, Geschichte und Religion des Judentums) nicht untersucht werden.

Interessant sind die Hinweise auf die Berufswahlen der Absolventen, nämlich, dass jüdische Absolventen zumeist Berufe im kaufmännischen Bereich wählten und sich damit wenig flexibel zeigten. Dieses Phänomen zu erklären, reicht u.a. der Hinweis auf antisemitische Vorurteile der Umgebung nicht aus.

Zugang zur Schule, Schülerzahlen

Wichtige Ergebnisse zu den Zugangsbedingungen, zu den Schülerzahlen und zu den Anteilen von jüdischen (7) und christlichen, von Hausschülern und Stadtschülern legt M. Berg in ihrer Arbeit vor. Leider hat sie die Ergebnisse nur in Teilen in Schaubildern zusammengefasst. Nicht berücksichtigt sind die Herkunftslandschaften der Hausschüler, die über die Reichweite  der Schule Auskunft gegeben hätten, und – sicher schwer herauszufindende – Motive zu Besuch der Jacobson – Schule. (8)

Die Rolle der Schule im Kräftefeld:

    • die Stadt Seesen und ihre Bürgerschule,
    • das Konsistorium mit seinen Versuchen, die Schulaufsicht über die Jacobson-Schule zu erlangen,
    • das herzogliche Ministerium als Schulaufsicht, die dann der Oberschulkommission übertragen wurde, und
    • das von der Familie Jacobson besetzte Kuratorium.

Die Arbeit der Schule begann in weitgehender Selbständigkeit bei der Gestaltung des schulischen Lebens, der Unterrichtsinhalte und der Qualifikationen. Die Schule wurde nicht dem Konsistorium, auch nicht der Stadt Seesen, sondern allein dem herzoglichen Ministerium unterstellt; war also nicht in ein Bildungssystem eingeordnet. M. Berg stellt dar, dass diese Freiheit von drei Seiten in Frage gestellt wurde: einmal von den Interessen der zahlenden Hausschüler, deren Eltern mit der Zahlung von Schulgeld auch die Erfüllung ihrer Erwartungen für ihre Söhne verbanden und zunehmend auf eine allgemeine Geltung der Abschlüsse drängten. Zum Zweiten – den Eltern der zahlenden Hausschülern vergleichbar – agierten die Eltern aus dem Raume Seesen. Ich wage sogar die Behauptung, dass die Aufnahme zahlender Pensionäre und von Schülern aus Seesen wesentlichen Anteil an der zunehmenden Qualität der Schule hatten. Die höhere Zahl von Schülern erforderte mehr Lehrer und eine bessere Ausstattung, zog aber die Schule von ihrem ursprünglichen Ziel (9) ab und fügte sie in das allgemeine Schulsystem ein. Die ursprüngliche Freiheit der Schule wurde noch von einer dritten Seite in Frage gestellt: von Seiten der staatlichen Administration. Konnte noch das Ausgreifen des Konsistoriums auf die Aufsicht über die Schule abgewehrt werden, so übernahm das herzogliche Ministerium im Zuge der Angleichung im Bildungssystem, hervorgerufen durch die allgemeinen Qualifikationsanforderungen, immer mehr Kompetenzen. So war das Kuratorium nicht mehr allein zuständig für die Statuten, die Ausgestaltung der Schule, die Auswahl der Lehrer und bei der Festsetzung des Schulgeldes, sondern musste ab 1886 Einvernehmen mit der Herzoglichen Oberschulkommission herstellen. Auch die Auswahl von Lehrern wurde zu einer gemeinsamen Angelegenheit. Damit wurde die Schule ab 1886 Teil des deutschen Bildungssystems.  1893 und 1903 versuchte die Schule - konsequent der bisherigen Entwicklung folgend -  die Anerkennung als öffentliche Schule zu erreichen. Erfolglos, weil die Jacobson – Schule als private Schule für den Staat eine billige Schule war. Erst der Zusammenbruch der finanziellen Ausstattung der Schule nach dem Ersten Weltkrieg und das Interesse der Stadt Seesen an einer zum Abitur führenden Schule machte die Jacobson – Schule zu einer öffentlichen, aber nun nicht mehr unter ihrem hergebrachten Namen. Diese Zusammenhänge hat M. Berg klar und umfassend in ihrer Arbeit dargestellt.

Bei der Überschrift ihrer Zusammenfassung verändert M. Berg ihre leitende Fragestellung „Tradition – Emanzipation – Assimilation“ in „Emanzipation – Assimilation und Tradition“. Das ist sinnvoll und man darf auf die Ergebnisse gespannt sein. Die zentrale Aussage lautet: Bereitschaft der Schule zur Assimilation wurde von der Regierung bestätigt und/oder zugestanden – oder andersherum: Entgegenkommen des Staates wird mit neuer Bereitschaft zur Assimilation beantwortet. Nach der rechtlichen Gleichstellung der Juden seien das „Eingehen der Jacobson – Schule auf die Bedürfnisse der regionalen Umgebung“ „nicht mehr mit Zugeständnissen oder Privilegien beantwortet, sondern Konzessionen an eine weitergehende Integration in das deutsche Bildungswesen geknüpft“ (10)  worden. M. Berg kommt zu dem Ergebnis: „Der subtile Übergang von einem emanzipierten jüdischen Institut über die Assimilation an das deutsche Bildungswesen bis hin zu einer Einrichtung, in der die ursprünglichen Ziele bei der Gründung der Jacobson – Schule nicht mehr zu erkennen waren,....“ (11) und weiter: „In den ersten 70 Jahren ihres Bestehens hatte die Jacobson -. Schule bewiesen, dass sie auf dem bildungspolitischen Wege die rechtliche Emanzipation und eine gesellschaftliche Assimilation hatte erringen können, dabei ihre religiöse Tradition nur marginal gewahrt hat.“ (12). Schauen wir genauer hin, wie diese Urteile zu Stande kommen!

Sie beruhen auf folgenden Annahmen:

Die ursprünglichen Ziele seien andere gewesen, als die später verwirklichten.

Erstens leistet M. Berg keine umfassende Definition der ursprünglichen Ziele. Sie zitiert (13) aus dem Antrag Jacobsons an den Herzog das Ziel  einer besseren sittlichen, kognitiven und körperlichen Bildung und das Ziel, den Schülern Beschäftigung und Arbeiten zu geben. Hinzu soll auch eine modernere Unterweisung in der Religion kommen. Jacobsons Ziel war auch, die Jugend der Juden „ ...dem Staate, in dem sie wohnen, nützlicher zu machen ...“ (14). Hier hilft M. Bergs Definition von der „gesellschaftlichen Assimilation“ nicht weiter; denn: Bildung und gerade Ausbildung ist bei aller Hochwertigkeit der Individuation zugleich auch Sozialisation, ein Begriff, denn M. Berg überhaupt nicht verwendet. Die soziale, ökonomische und nicht zuletzt die politische Entwicklung wollte auch von den jüdischen Eltern der Jacobson – Schule für ihre Kinder bestanden werden und zwar in dieser Gesellschaft -  der Zionismus war noch unter dem Horizont.

Die marginale Bewahrung der religiösen Tradition

M. Berg stellt fest: „Nach Israel Jacobsons Tod machte sich im Laufe der Jahre ein religiöser Indifferentismus unter den Direktoren und Kuratoren der Jacobson – Schule breit.“ (15). Sie führt in ihrer Untersuchung drei Konflikte des jeweiligen Schul- leiters mit religiös strengeren Hausvätern an. Konkret ging es in einem Falle um Gartenarbeit am Sabbat. Weitere Belege werden nicht gegeben. Das ist für ein so weit reichendes Urteil zu wenig. M. Berg betont immer wieder, dass die Schule vor allem den wirtschaftlichen Erfolg im Auge gehabt habe. Es mag sein, dass ihre überzeugenden Untersuchungen zur Wirtschaftsführung der Schule ihr dieses Argument nahe legte, doch so weit zu gehen, dass an der Jacobson–Schule „jüdische Elemente Mitte des 19. Jahrhunderts offenbar insbesondere aus wirtschaftlichen Gründen noch gewahrt“ (16) wurden, ist eine Vermutung oder eine Hypothese, die sie nicht aus Befunden stützt. Um welche jüdischen Elemente soll es sich handeln ? Hier komme ich zu einem zentralen Punkt meiner Kritik: Um über jüdische Anteile an der Erziehung und Bildung der Jacobson – Schule Aussagen zu treffen, müsste man diese auf- und untersuchen. In der Arbeit von M. Berg finden sich keine Ausführungen über die Inhalte der „jüdischen“ Fächer, auch keine Ausführungen zur Stellung der Synagoge im Schulleben und zum Synagogenbesuch, keine Ausführungen dazu, wie die Schule sich ihrer jüdischen Wurzeln auf Feiern und Jubiläen versicherte, keine Ausführungen zu jüdischen Architekturelementen der Schule. M. Bergs Behauptung, die Samson – Schule in Wolfenbüttel habe die jüdische Tradition stärker betont, hätte ihr die Möglichkeit eines substantiellen Vergleichs gegeben.

Ärgerlich wird es dann, wenn wieder ohne Belege behauptet wird: „Deutscher als jede deutsche Schule begingen beide jüdischen Institute nationale Feiern,....“ (17). Ärgerlich auch, aus der Härte, mit der eine antisemitische Aktion in der Schule geahndet wurde, zu schließen, die Härte der Reaktion zeige, „dass die Vorgänge vermutlich nicht selten auftraten.“ Und weiter: „So dürfte mancher (antisemitische) Vorfall unerwähnt geblieben oder unterdrückt worden sein.“ (18). Als Grund dafür wird die schwierige wirtschaftliche Lage angegeben. Abgesehen von der Unzulässigkeit der Argumentation ex nihilo, soll die Argumentation zudem von Vermutungen gestützt werden. Es liegt nahe, auch an der Jacobson – Schule nach Antisemitismus zu suchen, doch es muss etwas gefunden, nicht erfunden werden.

Ein Letztes zu diesem Komplex: der Verzicht auf Belege jüdischen Lebens programmiert ein Ergebnis, das M. Berg die „marginale Bewahrung der religiösen Tradition“ nennt.

Die vorliegenden Arbeit hat ihre Stärken in der Darstellung der Gründung, der wirtschaftlichen Verhältnisse, der Bedingungen des Lernens, der Auseinandersetzungen mit der Stellen der Schulaufsicht, sie hat Schwächen in der Verortung der Konzepte der Schule in der allgemeinen Entwicklung, besonders in der Zeit der Gründung, der Darstellung des spezifisch Jüdischen und passim auch in der historischen Argumentation.

Am Ende der Besprechung der Arbeit von M. Berg möchte ich auf einige Desiderata der Forschung zur Jacobson – Schule hinweisen:

  1. die französischen Erfahrungen Jacobsons und Schotts;
  2. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Konzepten Jacobsons und  Schotts;
  3. Verortung des Seesener Konzepts in den Rahmen der deutschen Aufklärung, besonders ihrer jüdischen Bildungsvorstellungen;
  4. die Lehrinhalte der „jüdischen“ Fächer (Hebräisch, Religion, Religionsgeschichte);
  5. jüdische Gebräuche im Alltagsleben der Schüler und das Leben um und in der Synagoge;
  6. Architekturelemente aus dem Jüdischen in der Synagoge, in der Schule und im Schmuck der Gebäude;
  7. die Vergewisserungen des Auftrags der Schule und des Andenkens an Israel Jacobson in den Schulfeiern;
  8. die Untersuchung, woher, aus welchen Gründen und mit welchen Zielen die Schüler von außerhalb Seesens kamen;
  9. die Fortführung der Geschichte der Jacobson – Schule über das Jahr 1922 hinaus.

Für derartige Untersuchungen liegen Materialien in ausreichender Weise bereit.

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Vgl. auch die Rezension von Rüdiger Loeffelmeier in Erziehungwissenschaftliche Revue EWR 3 (2004), Nr. 4 (Veröffentlicht am 05.08.2004), online hier

 


jacobsonfestschrift

 

Die Festschrift

Rolf Ballof/Joachim Frassl
200 Jahre Jacobson-Schule Seesen, Seesen 2001

 

 

 

 


Die Festschrift enthält folgende Teile:

  1. Grußworte;
  2. Darstellung der Gründung (mit Dokumenten);
  3. Israel Jacobson im Lichte der historischen Literatur;
  4. die Gründung der Schule im Lichte ihrer Jubiläumsfeiern;
  5. der Versuch einer Geschichte der Schule;
  6. eine Darstellung des Synagogenbaus und der Architektur der Schule, auch des Schulgebäudes von 1972;
  7. die Planungen aus den Jahren 1952/53, ein neues Internat zu errichten;
  8. einen umfänglichen statistischen Teil.

Die Herausgeber wollten einmal die Ergebnisse der bisherigen Untersuchungen zur Geschichte der Schule zusammen fassen (19), zum anderen die aus Anlass des Jubiläums in Gang gekommenen Untersuchungen der Öffentlichkeit vorstellen. Sie beziehen dabei auch Ergebnisse der Arbeit von Meike Berg ein, die den Herausgebern ihr Manuskript freundlicher Weise zur Verfügung gestellt hatte.

Hier sei vor allem auf den statistischen Teil hingewiesen. Sein Inhalt:

  1. die Namen, Lehrbefähigungen und  Dienstzeit aller Lehrerinnen und Lehrer seit 1801;
  2. die Namen aller Abiturientinnen und Abiturienten seit dem ersten Abitur von 1926;
  3. die Entwicklung der Schülerzahlen seit 1801
    • Haus- und Stadtschüler,
    • jüdische und christliche Schüler,
    • deutsche und ausländische Schüler,
    • Mädchen und Jungen;
  4. die Fächerbelegungen der Schülerinnen und Schüler seit Einführung der Sekundarstufe II im Jahre 1974.

Aus den Statistiken sind wertvolle Hinweise zur Geschichte der Schule zu entnehmen, z.B. zur pädagogisch-didaktischen Arbeit der Schule, die sich in den Besonderheiten der Fächerwahlen niederschlagen, die mit niedersachsenweiten Statistiken, die ebenfalls abgedruckt sind, verglichen werden können.

 


 

jacobsonschuledoku

 

Die Dokumentation des Jubiläums

Rolf Ballof/Joachim Frassl
200 Jahre Jacobson-Schule Seesen  - Dokumentation  Seesen 2003

 

 

 

 

 

 


Sie enthält:

  1. eine Widmung und Einleitung des Schulleiters von 2001, in der er einen Beitrag zur Arbeit der Schule leisten will („Emanzipation und Integration“, „Die jüdische Tradition der Schule“, „Die/der Einzelne“, „Die Schulgesellschaft“, „Die ‚Sachen’“)
  2. den Festvortrag von Micha Brumlik „Israel Jacobson und das Reformjudentum in Deutschland“, eine weitere Betrachtung zur Geschichte und zum Auftrag der Schule, auch in heutiger Zeit;
  3. die Grußworte der Ehrengäste (Vorsitzender des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden Michael Fürst, Regierungspräsident Dr. Axel Saipa, Landrat Peter Kopischke, Bürgermeister Hubert Jahns);
  4. die Ansprache des Schulleiters zur Eröffnung der Ausstellung „Blickwechsel“;
  5. den Text (mit vielen Bildern) der Szenenfolge „Jacobsons Schulcooltour“, eine sehr erfolgreiche Aufführung der Theater – AG zum Jubiläum;
  6. Dokumentation von Reaktionen der Presse und auf der HP;
  7. eine Chronik des Jubiläums;
  8. die Besprechung eines von der damaligen Klasse 10 a in ihrer Klasse angefertigten Wandgemäldes;
  9. einen Anhang, in dem die Ansprachen des 1991 gefeierten 190-jährigen Jubiläums abgedruckt sind.

 


Kleine Geschichte der Jacobson-Stiftung

Der bis 2003 amtierende Vorsitzende der Jacobson – Stiftung hat auf der Basis der Ergebnisse, die M. Berg vorgelegt hat, einige Ergebnisse seiner Arbeit zur Jacobson-Stiftung vorgelegt.

Im Mittelpunkt seiner Ausführungen steht die Geschichte der Stiftung nach 1922, vor allem die Verhandlungen um die Verstaatlichung, ihr Verlust der Kompetenzen in der Zeit des Nationalsozialismus, ihre Enteignung nach 1945 (!!) und ihr Aufleben zugleich mit der Wiedereinführung des Namens Jacobson im Jahre 1975.

Die beiden Schriften zum Jubiläum können vom Jacobson – Gymnasium über Herrn O.St.R. Joachim Frassl (Leiter des Archivs) erworben werden. Die Arbeit von M. Berg ist über den Buchhandel zu erhalten.

 

 

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Anmerkungen:

(1) 1. Meike Berg, Jüdische Schulen in Niedersachsen. Tradition – Emanzipation – Assimilation. Die Jacobson-Schule in Seesen ( 1801-1922). Die Samsonschule in Wolfenbüttel (1807-1928) In: Beiträge zur historischen Bildungsforschung  Band 28. Köln 2003 / 2. Rolf Ballof/Joachim Frassl, 200 Jahre Jacobson-Schule Seesen, Seesen 2001 / 3. Rolf Ballof/Joachim Frassl, 200 Jahre Jacobson-Schule Seesen  - Dokumentation  Seesen 2003 /

(2) Rolf Ballof, Zur Geschichte der Jacobson-Stiftung. Seesen 2003

(3) Es sei darauf hingewiesen, dass die folgende Darstellung ein Stück weit „selbstreferenziell“ ist.

(4) Hans-Michael Bernhardt, Bewegung und Beharrung Hannover 1998

(5) „Dibre shalom We-Emet“ „Worte des Friedens und der Wahrheit“ 1782 v.a. Kapitel 3-4.

(6) vgl. dazu die Gliederung der Festschrift: 1. Die Schule 1801 bis 1814, 2. Die Schule 1814 bis 1838, 3. Die Schule 1838 bis 1847 – Neue Aufgaben, 4. Ginsberg (1847 – 1862) – Konsolidierung, 5. Arnheim (1862 – 1885) – jüdische und zugleich öffentliche Schule?, 6. Philippson 1886 - 1907  – auf dem Weg zur Stadtschule?, 7. Von der Jacobson-Schule zur Oberrrealschule, 8. Die Staatliche Oberrealschule – nicht einmal mehr die ehemalige Jacobson-Schule, 9. Ein neuer Beginn

10. Dr. Brendel 1957- 1970 – Neubau der Schule und Schüleropposition

(7) Offen bleibt die Frage, warum jüdische Eltern ihre Söhne auf die Jacobson – Schule schickten. Mag das bei den Freischülern, die keine Kosten zu tragen hatten, noch erkennbar sein, so bleiben über die Motive der zahlenden Eltern nur Spekulationen möglich. Familiäre Bedingungen, Ferne der Wohnung von höher qualifizierenden Schulen, aber auch bewusstes Bildungsinteresse reformjüdischer Familien an jüdisch-liberaler Erziehung mögen Motive sein, die allerdings schwer zu quantifizieren sind. s. auch Anm. 8

(8) S. dazu demnächst Rolf Ballof, Die Jacobson- Schule im Raum der deutschen Länder und im Ausland

(9) Es kann mit Recht bezweifelt werden, dass das ursprüngliche Ziel Jacobsons angesichts der gesellschaftlichen Entwicklung noch tauglich d.h. realitätsadäquat war. Es war deshalb notwendig, die Ziele der Schule neu zu bestimmen.

(10) M. Berg S. 247

(11). M. Berg S. 247

(12) M. Berg S. 251

(13) M. Berg S. 50 - 51

(14) s. Ballof/Frassl, Festschrift S. 23

(15) M. Berg S. 245

(16) M. Berg S. 244

(17) M. Berg S. 249

(18) M. Berg S. 248-249

(19) u.a. Gerhard Ballin  Die Jacobson-Schule in Seesen. Ein Beitrag zu ihrer Geschichte. In: Tausend Jahre Seesen Beiträge zur Geschichte der Stadt Seesen am Harz 974 – 1974. Seesen 1974, S. 349-403

 


Internettipp zur jüdischen Freischule in Berlin:

"Daß die Kinder aller Confessionen sich kennen, ertragen und lieben lernen." Die jüdische Freischule in Berlin zwischen 1778 und 1825. Von Peter Dietrich und Uta Lohmann, erschienen in:
Ingrid Lohmann, Wolfram Weiße (Hrsg.): Dialog zwischen den Kulturen. Erziehungshistorische und religionspdagogische Gesichtspunkte interkultureller Bildung. Münster, New York 1994, 37-47. Der Beitrag steht online auf der Seite der Erziehungswissenschaften der Universität Hamburg: hier. Zum Inhaltsverzeichnis des Buches: hier.

 

 

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